Hex Hall 01 - Hawkins, R: Hex Hall 01
viel Zeit.«
»Wer bist du?«, flüsterte ich.
Sie bedachte mich wieder mit diesem genervten Blick. »Ich hab doch gesagt, du brauchst nicht zu flüstern. Niemand kann uns hören.«
Sie blieb auf der Treppe stehen, warf den Kopf in den Nacken und schrie: »Casnoff! Vandy! Sophie Mercer hat das Bett verlassen und will sich auf irgendeinen Unfug mit einem Geist einlassen.«
Instinktiv duckte ich mich. »Scht!«
Doch genau wie sie versprochen hatte. Es gab kein Anzeichen dafür, dass jemand sie gehört hatte. Das einzige Geräusch war das gedämpfte Ticken der Standuhr in der Eingangshalle und mein eigener, stoßweise gehender Atem.
»Siehst du?«, fragte sie und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu mir um. »Alles geregelt. Jetzt komm.«
Sie lief die letzten Stufen hinunter, und bevor ich wusste, wie mir geschah, standen wir schon draußen auf dem Rasen. Die Nacht war kühl und feucht, das Gras unter meinen Füßen fühlte sich unangenehm matschig an. Ich sah nach unten, um mich davon zu überzeugen, dass ich wirklich nur auf Gras stand, und bemerkte, dass meine Füße einen seltsamen Grauton angenommen hatten. Dann fiel mir auf, dass ich meinen Schatten sehen konnte, obwohl kein Mond schien.
Ich drehte mich herum, um zur Schule zurückzublicken, und schnappte nach Luft. Das ganze Haus war von einer riesigen, durchsichtigen Blase umgeben, die in einem dumpfen, grünlichen Licht schimmerte. Die Blase war ständig in Bewegung, sie wellte sich und schoss hellgrüne Funken ab. Noch nie hatte ich etwas Derartiges gesehen; noch nie hatte ich auch nur über einen Zauber wie diesen gelesen.
»Beeindruckend, nicht wahr?«, bemerkte das Mädchen selbstgefällig. »Es ist ein schlichter Schlafzauber, der dafür sorgt, dass die Opfer mindestens vier Stunden lang nichts von der Außenwelt mitbekommen. Ich habe ihn nur … verstärkt.«
Das Wort Opfer gefiel mir nicht.
»Ist alles … ist alles in Ordnung mit ihnen?«
»Klar, sie sind vollkommen sicher«, antwortete sie. »Sie schlafen nur. Wie im Märchen.«
»Aber … Mrs Casnoff hat die ganze Schule mit Zauberkraft abgeriegelt. Niemand kann einfach hereinkommen und einen so starken Zauber wirken.«
»Ich schon!«, rief das Mädchen. Dann griff sie nach meiner Hand. Ihre Hand war genauso fest und wirklich wie meine eigene. Ich war mir sicher, dass Mrs Casnoff gesagt hatte, Geister könnten uns nicht berühren. Aber bevor ich sie danach fragen konnte, zog mich das Mädchen vom Haus weg.
»Warte. Ich kann nicht mit dir irgendwo hingehen, bevor ich weiß, wer du bist und was du vorhast. Warum bist du mir gefolgt?«
Sie seufzte. »Ach, Sophie, ich hatte gehofft, du wärst ein wenig scharfsinniger. Ist es nicht offensichtlich, wer ich bin?«
Ich musterte ihr knielanges, geblümtes Kleid und die leuchtend grüne Strickjacke. Ihr Haar war schulterlang und gelockt und wurde mit Haarnadeln aus ihrem Gesicht gehalten. Als ich den Blick nach unten wandern ließ, sah ich, dass sie abscheuliche braune Halbschuhe trug. Sie tat mir ein wenig leid: Geist hin, Geist her, aber niemand sollte in so hässlichen Schuhen durch die Ewigkeit spazieren müssen.
Aber dann sah ich ihr in die Augen. Sie waren groß und lagen weit auseinander, und obwohl sich das grüne Licht in ihnen spiegelte, konnte ich erkennen, dass sie blau waren.
Meine Augen.
Britisch, aus den vierziger Jahren, und sie hatte meine Augen.
»Alice?«, fragte ich, und das Herz schlug mir bis zum Hals.
Sie lächelte breit. »Sehr gut! Also, jetzt komm einfach mit und …«
»Warte, warte, warte«, sagte ich und fasste mir an den Kopf. »Du sagst, du bist der Geist meiner Urgroßmutter?«
Wieder dieser genervte Blick. »Ja.«
»Aber was tust du hier? Und warum bist du mir gefolgt?«
»Ich bin dir nicht gefolgt«, antwortete sie aufbrausend. »Ich bin dir erschienen. Anfangs warst du noch nicht bereit für mich, aber jetzt bist du es. Ich habe sehr hart daran gearbeitet, Kontakt mit dir aufzunehmen, Sophie. Also, können wir jetzt bitte mit dem Geplapper aufhören und zum Wesentlichen übergehen?«
Ich ließ mich von ihr wegzerren, vor allem deshalb, weil ich Angst hatte, sie würde mir eins verpassen, wenn ich mich widersetzte, aber auch, weil ich neugierig war. Wie viele Leute werden schon vom Geist ihrer Urgroßmutter aus dem Bett geholt?
Wir entfernten uns von Hex Hall und gingen den steilen Hügel hinunter in Richtung Gewächshaus. Ich fragte mich, ob sie mich zu einer Trainingsstunde dort hinbringen
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