Hexenblut
nicht.«
»Wieso nicht?«
»Das ist eine taktische Entscheidung.«
»Ist es nicht eher eine Falle?«
Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Carson. »Es ist eine taktische Falle.«
»Wer hat das entschieden?«, wollte ich wissen.
»Ich, auf eine Empfehlung hin.«
»Von Joe?«
»Ich musste ihn irgendwie beschäftigen.«
»Gestern hat er sich geirrt«, meinte ich. Als Carson mir daraufhin einen gekränkten Blick zuwarf, fragte ich: »Wie sieht der neue Plan aus?«
»Joe ist der Meinung, wir sollten ihn in die Irre führen, damit er glaubt, wir hätten den Zusammenhang noch nicht entdeckt. Es könnte ihn aus seinem Versteck locken; immerhin kann es gut sein, dass die forensischen Spuren nicht ausreichen.«
»Und wie wollen Sie das anstellen?«
»Ganz einfach. Wir appellieren an seine Eitelkeit. Wer sind wir für ihn? Kleinstadtbullen. Soll er ruhig glauben, dass er zu schlau für uns ist, dann kommt er vielleicht aus der Deckung oder gibt uns einen offensichtlicheren Hinweis.«
»Glauben Sie, das wird funktionieren?«, fragte ich.
Carson dachte über seine Antwort nach. »Joe Kinsella glaubt es.«
»Es hört sich nicht nach einer besonders komplexen Falle an.«
»Das ist richtig, aber ich kenne Joe seit Jahren, und er liegt meistens richtig. Er ist der Meinung, dass der Mörder allmählich die Kontrolle verliert. Diese Briefe, die er an Katie geschickt hat, sind ein neues Element. Bei keinem der anderen Morde gab es verschlüsselte Nachrichten. Warum also schickt er uns so etwas?«
»Um sich über Sie lustig zu machen?«
Carson schüttelte den Kopf. »Das dachte Joe zuerst auch, doch inzwischen ist er davon nicht mehr so überzeugt. Die Briefe wurden abgeschickt, bevor Sarah Goode starb. Dass er uns damit verspotten wollte, würde ich glauben, wenn sie jetzt einträfen, nach ihrem Tod. So aber können sie nur eines bedeuten.«
Ich zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Er will, dass wir ihn aufhalten«, fuhr Carson fort. »Die Lage hat sich geändert. Er hat uns in Bezug auf das, was er mit ihr vorhatte, und auf seinen Antrieb gewarnt. Da wir die Tat nicht verhindert haben, könnte er sich jetzt noch mal mit uns in Verbindung setzen, um uns die Schuld an Sarahs Tod zu geben.«
Ich dachte darüber nach und ließ meinen Blick vom Kanal zu den Straßen wandern, die ein Stück weiter vom Präsidium entfernt lagen und sich durch die Hügel ringsum zogen. Die Leute gingen ihren tagtäglichen Beschäftigungen nach, und ich konnte es ihnen wieder gleichtun. Ich hatte meine Arbeit getan, ich musste mir keine Vorwürfe machen, dass ich Sarah nicht gefunden hatte. Mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen, hätte ich sie nie finden können. Sicher würde Carson Sarahs Eltern erzählen, welch große Hilfe ich gewesen war, und letztlich würden sie das vielleicht auch zu schätzen wissen. Tief in meinem Inneren wusste ich auch, dass ich getan hatte, was ich konnte. Es gab keinen Grund für ein schlechtes Gewissen. Ich sollte alles in eine Schublade mit der Aufschrift ›Schlechter Tag‹ packen und es aus meinem Gedächtnis streichen. Was ich zusammengetragen hatte, konnte ich zu einem Artikel verarbeiten und verkaufen, bevor der Killer gefasst wurde. Vielleicht würde ich auch ein Buch daraus machen können.
Aber mein Gefühl sagte mir, dass die Story nur besser werden konnte.
76
S chweigend kehrten wir zum Polizeipräsidium zurück, wo größere Betriebsamkeit herrschte als am Tag zuvor. Mehr Polizisten waren zum Dienst zitiert worden, Detectives liefen mit irgendwelchen Dokumenten kreuz und quer durch die Gänge, alle machten sie eine ernste Miene. Einen erkannte ich wieder, er hatte mich mit seinen Kollegen in die Wildnis gefahren und dort zurückgelassen. Als ich mich ihm näherte, wandte er den Blick ab.
Carson trat vor mir in den überfüllten Besprechungsraum, und ich wollte ihm soeben folgen, da sah ich durch eine offene Tür in einem anderen Zimmer Sarahs Eltern sitzen. Ich wusste, Carson war längst voll und ganz auf den Fall konzentriert, und ich stellte für ihn nur einen Störfaktor dar. Er hätte sicher nichts dagegen, wenn ich ihn nicht begleitete.
Also ging ich weiter zu Sarahs Eltern, und obwohl ich bei jedem Schritt insgeheim damit rechnete, von Carson zurückgepfiffen zu werden, geschah nichts dergleichen, und ich schaffte es bis zur Tür. Neben den beiden saß Sam Nixon und machte sich Notizen. Als ich an den Türrahmen klopfte, drehten sie sich zu mir um und lächelten
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