Hexengold
Schwur geleistet, zeit ihres Lebens die Grohnerts aus Königsberg fernzuhalten als Wiedergutmachung für das an ihm begangene Unrecht. Immerhin haben sie ihn fälschlich dem schlimmen Verdacht des Betrugs ausgesetzt und ihm obendrein zugetraut, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben. Den kummervollen Tod der alten Singeknechts haben sie mitverschuldet. Diese Schmach gilt es für allezeit wiedergutzumachen.«
»Aber doch nicht, indem sie dich jetzt von deinem rechtmäßigen Erbe fernhalten. Du bist nun mal die einzige Erbin von Paul Singeknecht, ganz gleich, mit wem du verheiratet bist.«
»So gesehen hast du recht.« Magdalena hob seufzend die Arme. »Andererseits gibt es noch einen weiteren Aspekt zu beachten: Wird bis Ende des Monats Paul Singeknechts Erbe nicht ausbezahlt, gereicht das der Stadt und ihren Bürgern zum Vorteil. Fällt das Vermögen an die Armenkasse, profitieren schließlich alle davon. Für geraume Zeit sind die anderen Bürger der Pflicht enthoben, allzu großzügige Almosen spenden zu müssen. Hospital und Armenspeisung tragen sich möglicherweise Jahrzehnte allein mit dem Singeknecht’schen Geld.«
»Das klingt einleuchtend.« Carlotta nickte nachdenklich. »Allerdings schien mir Martenn Gerke zunächst ein freundlicher älterer Herr zu sein. Die Tatsache, dass du den Erzfeind deiner Familie geheiratet hast, mag ihn einfach verwirrt haben. Trotzdem glaube ich nicht, dass er dir deshalb Steine in den Weg legen will, an dein Erbe zu kommen. Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Wollen wir hoffen, dass du recht hast, mein Kind. Im Laufe der Jahre bin ich misstrauisch geworden, so dass ich möglicherweise selbst die kleinsten Zweifel falsch deute. Natürlich verhält sich Gerke vor allem korrekt. Die Vorschriften sind nun einmal, wie sie sind. Als Frau brauche ich vor dem Rat meinen Ehegemahl als Vertreter, im Falle seines Todes mindestens zwei männliche Bürgen. Gelingt es uns heute, Diehl, Imhof und Feuchtgruber aufzutreiben, sind wir schon einen entscheidenden Schritt weiter. Sie werden uns sagen können, was mit Vater ist. In jedem Fall aber …« Sie senkte die Stimme und sah rasch zu Boden, dennoch erspähte Carlotta die Tränen, die ihr in den Augen standen. »In jedem Fall aber haben wir mit den Frankfurter Genossen drei ehrenhafte Bürgen, ganz gleich, was es vor dem ehrwürdigen Rat der Stadt Königsberg und der Kaufmannsgilde zu bezeugen gilt.«
»Denk nicht gleich das Schlimmste«, versuchte Carlotta sie zu trösten. Ein dicker Kloß im Hals erschwerte ihr das Reden. Allein schon die Erinnerung an den unheilvollen Abschied in Frankfurt flößte ihr unbeschreibliche Angst um den Vater ein. Wie schlecht er an jenem Morgen ausgesehen hatte. Sie zwang sich, nicht daran zu denken. Ihre Mutter durfte den Mut nicht verlieren. »Nur weil die drei Herren ohne Vater in der Börse aufgetaucht sind, muss das nicht bedeuten, dass Vater etwas zugestoßen ist. Lass uns zum Hafen oder besser gesagt zur Lastadie gehen. Dort werden wir schon weitersehen.«
»Ja, das ist wohl das Beste.« Nachdenklich wanderte Magdalenas Blick umher. Beunruhigt folgte Carlotta ihrem Blick und sah eine junge, gut gekleidete Frau, die zusammen mit einer ältlichen Magd von der Altstadtseite aus die Brücke betrat. Der Kleidung nach gehörte sie zum Bürgerstand. Schon eilte Magdalena auf die Frau zu und sprach sie an. Bangen Herzens verfolgte Carlotta das kurze Gespräch. Als die Mutter sie lächelnd heranwinkte, atmete sie auf.
»Seht, das ist meine Tochter Carlotta«, erklärte Magdalena der Unbekannten. Aus der Nähe bemerkte Carlotta den vorgewölbten Bauch und begriff: Ihre Mutter hatte den Zustand der Frau erkannt und beschlossen, an ihre mütterlichen Gefühle zu appellieren. »Sie ist erst dreizehn und wünscht sich nichts sehnlicher, als bald bei ihrem Vater zu sein. Die lange Reise quer durch das kriegsgeplagte Polen hat unsere Sorge um ihn stetig wachsen lassen. Wo aber sollen wir die Kaufleute am Hafen finden?«
»Macht Euch keine Sorgen.« Die Stimme der Unbekannten klang angenehm. Ihre hellbraunen Augen blickten klug. »Am Hundegatt befindet sich gleich beim großen Kran ein Krug, so nennen wir hier die einfachen Gasthäuser. Den Ganskrug suchen viele fremde Kaufleute auf, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Geht gleich nach der Krämerbrücke links hinüber, dann werdet Ihr weder Kran noch Krug verfehlen.«
»Danke Euch. Das hilft uns weiter.« Magdalena reichte der Fremden die Hand, doch
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