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Hexenheide

Hexenheide

Titel: Hexenheide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: aerts
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bestätigt Karim, »aber sie hat sich nicht bewegen lassen. Ich hab gar nicht gewusst, dass deine Mutter so stark ist.«
    »Meine Mutter …« Lenne räuspert sich, dann deutet sie mit dem Kopf in Richtung des Fensters, das sich hinter ihr befindet. »Meine Mutter sitzt noch immer auf der Bank da.«
    Karim sieht nach draußen. Lenne hat recht. Er zuckt mit den Schultern. »Na, da ist sicher noch jemand anderes hier. Ein Spaziergänger, der auch mal schnell hineingucken wollte.« Er geht zur Tür und lässt im Vorbeigehen die Hand kurz über die Klinke gleiten. Die kann er jetzt normal auf und ab bewegen. Einen Schlüssel sieht er nirgends. Auch keinen Riegel oder etwas Ähnliches.
    »Offenbar hat sie einfach nur ziemlich geklemmt.«
    »Puh«, macht Lenne. »Wir haben doch mächtig daran gezogen.« Sie geht hinter Karim nach draußen.
    Inzwischen hat es sich zugezogen. Dicke graue Regenwolken hängen schwer am Himmel, und ein Windstoß lässt Lenne in ihrer dünnen Herbstjacke frösteln. »Ich hätte meine Winterjacke anziehen sollen …« Ihre Aufmerksamkeit wird von etwas angezogen, einer Bewegung, einer Farbe, die sie aus dem Augenwinkel wahrnimmt. Ruckartig dreht sie den Kopf zur Seite. Da steht eine Frau an den nächsten Baum gelehnt, eine Frau, deren schlohweiße Haare ihr fast bis zur Hüfte reichen. Sie trägt einen langen Umhang, der ihr bis zu den Füßen. Dieser Umhang hat eine eigenartige Farbe, als ob er einmal dunkelrot gewesen wäre, sich jetzt aber durch das Alter zu einem schmuddeligen Rotbraun verfärbt hätte. Doch die Frau sieht weder alt noch heruntergekommen aus, im Gegenteil: In ihrer Haltung liegt etwas Königliches, und ihre Gesichtszüge zeigen einen hochmütigen Zug. Ein junges Gesicht im seltsamen Kontrast zu den weißen Haaren, die auf ein hohes Alter schließen lassen. Ein Band von derselben Farbe wie ihr Umhang hält ihre Haare am Hinterkopf zusammen. Sie sieht etwas altmodisch aus, wie auf einem alten Gemälde. Sie muss einmal sehr schön gewesen sein, als ihr Gesicht noch nicht von einer Narbe, die wie ein Scheitel von ihrem linken Auge über ihre Wange nach unten verläuft, verunstaltet war.
    Lenne schaut sie erstaunt an. Sie empfindet keine Angst, nur ein bisschen Verwunderung. Die Augen der Frau sind so hell, dass sie fast farblos wirken, und sie scheint Lenne zuzulachen, was ihren Blick weich und freundlich erscheinen lässt.
    Plötzlich wandern die Augen der Frau von Lenne zu Karim, der neben Lenne steht, und Lenne spürt, wie Karim nach ihrer Hand greift. Um selbst Hilfe zu suchen? Die Augen der Frau sind auf einmal hart wie Glas, und Karim fängt an, Lenne mit sich zu ziehen. Er will, dass sie ihm folgt, von hier weg, doch Lenne fühlt sich auf eine ganze eigentümliche Art von der Frau angezogen, und sie würde am liebsten auf sie zugehen und sich an sie schmiegen. »Hier bin ich«, sagt sie in Gedanken, »soll ich mitgehen?«
    Karim greift Lennes Hand fester. Er packt so hart zu, dass es wehtut. Lenne will sich losreißen, doch Karim hält sie fest.
    Die Frau dreht sich um, und der Umhang flattert ihr um die Beine. Im Bruchteil einer Sekunde ist sie verschwunden.
    Lenne empfindet einen seltsamen Verlust. Wo ist sie hin? »Lenne!«, hört sie neben sich Karims Stimme eindringlich in ihr Ohr zischen. »Lenne, los, komm jetzt, komm mit!« Er setzt sich in Bewegung und zieht sie hinter sich her.
    »Aber was … wart doch mal kurz! Wo ist sie denn hin? Warum ist sie so schnell …?« Lenne reißt sich los und rennt zu dem Baum, gegen den sich die Frau gerade noch gelehnt hatte. Sie geht um ihn herum und blickt verwirrt um sich. Von der Frau ist weit und breit nichts mehr zu sehen.
    Karim ist ihr hinterhergekommen. Diesmal packt er ihren Arm mit beiden Händen. »Lenne, komm mit. Deine Mutter wartet auf uns. Wir sind viel zu lange weggeblieben.«
    »Aber hast du die Frau denn nicht gesehen?«
    Karim beißt sich auf die Lippe. »Doch, natürlich hab ich diese unheimliche Person gesehen!«, faucht er, »das ist es ja gerade!«
    Unwillig lässt sich Lenne zu der Bank zurückführen, wo ihre Mutter noch immer auf sie wartet.
    »He, da seid ihr beide ja endlich wieder! Hat es so viel Schönes zu sehen gegeben?«
    Lenne sieht Karim kurz an. »Da war ei…« Sie schluckt. »Da war ein Dachboden mit Mühlsteinen. Ich hab … ich hab Karim erklärt, wie sie damit früher das Getreide gemahlen haben.«
    »V on dem ganzen Stillsitzen und Warten ist mir eiskalt geworden«, sagt Marit. »Los

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