Hexenjagd
gleich um die Ecke?“
*
„Becki? Kann ich dich mal sprechen?“ Den Arm der Frau festhaltend, die gerade an ihm vorbeikam, lächelte Vincent sie an.
Rebekka Lorenz war die zuständige Fachärztin auf der geschlossenen Station der psychiatrischen Klinik. Obwohl sie ein eher überschäumendes Temperament besaß, vermittelte sie in an ihrem Arbeitsplatz und insbesondere in Gegenwart ihrer Patienten stets einen Eindruck von gelassener Ruhe . Auch jetzt sah man ihr nicht an, dass sie eigentlich in Eile und daher sehr ungeduldig war, denn ihre braunen Augen richteten sich voller Interesse auf den groß gewachsenen Mann, wobei ihr schön geschwungener Mund sich zu einem fragenden Lächeln verzog. „Können wir in dein Kabuff gehen?“, fragte er.
„Klar“, versicherte sie. „Wenn du ’n paar Kekse besorgst, koch ich uns auch ’nen Kaffee.“
Es dauerte seine Zeit, bis alles gesagt war, denn Vincent wählte seine Worte mit Bedacht, damit keine Missverständnisse aufkamen.
„Ist ’ne ernste Sache.“ Rebekka merkte durchaus, dass er keineswegs so emotional unbeteiligt war, wie er ihr weismachen wollte. Dennoch verzichtete sie darauf, ihm dies direkt zu sagen, auch wenn sie sich sonst mit ihrer Meinung nicht zurückhielt. „Wenn ich richtig tippe, dann hat sie sich total abgekapselt und in eine andere Welt zurückgezogen. Ich müsste sie mir erst einmal ansehen. Könnte dann vielleicht mehr sagen.“
„Können wir sie nicht zu uns holen?“, schlug er vor. „Man überlegt sowieso schon, was mit ihr anfangen. Körperlich ist sie jetzt wieder fit, aber geistig immer noch verwirrt. Sie brauchen das Bett, also wollen sie sie loswerden. Aber niemand sagt mir, wo sie hinsoll. Nach Hause kann sie nicht. Dort wäre sie völlig allein und …“
„Nein“, sekundierte Rebekka, derweil sie einen weiteren Schokokeks zur Hand nahm, „nicht nach Hause. Sie würde sich gar nicht zurechtfinden. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hat sie ja sogar Schwierigkeiten, einen Föhn zu benutzen. Wie soll das dann gehen, wenn sie völlig auf sich allein gestellt ist? Aber zu uns holen können wir sie auch nicht ohne weiteres. Solange man sie nicht einweist, kann man sie nicht auf die geschlossene Station der Psychiatrie legen. Du weißt, das wäre Freiheitsberaubung, weil wir nicht genau wissen, inwieweit sie noch klar ist. Es sei denn, sie ist gemeingefährlich oder suizidgefährdet.“ Rebekka registrierte Vincents offene Enttäuschung und beeilte sich fortzufahren: „Hast du nicht gesagt, ihre Mutter wäre bei ihr? Kann die denn nichts unternehmen? Ich meine, wie steht sie eigentlich zu der ganzen Sache?“
„Die Dame ist völlig überfordert“, antwortete er niedergeschlagen. „Celiska erkennt sie wohl, aber sie lässt sie nicht an sich heran. Ich vermute, dass sie nicht unbedingt das beste Verhältnis hatten, bevor das alles passiert ist.“
Rebekka nickte, als wolle sie sich selbst etwas bestätigen.
„Trotzdem sollten wir uns mit Frau Falquardt in Verbindung setzen. Vielleicht können wir sie überreden, die Tochter einweisen zu lassen“, überlegte sie laut. „Es wäre die einzige Möglichkeit, Celiska legal auf unsere Station zu holen. Dann könnte ich mich viel intensiver mit ihr befassen, als wenn ich sie privat betreue. Die Klinik bietet außerdem sehr viel mehr Möglichkeiten für eine Therapie als meine kleine Praxis.“ Das Gebäckstück in den Mund schiebend, seufzte sie genüsslich. „Versuch du die Mutter zu überreden“, sagte sie. „Und ich versuche dann die Kleine in die Realität zurückzuholen.“
Die engelsgleichen Gestalten, die sich immer wieder um sie bemühten, riefen so unterschiedliche Gefühle hervor, dass Celia sie nicht eindeutig definieren konnte. Und weil diese Wesen im ständigen Wechsel auftraten, gab sie es schließlich auf, sich die einzelnen Gesichter merken zu wollen. Letztendlich unterschied sie sie, indem sie ihre Aufgaben festlegte: Da gab es fürsorgliche Wesen, die ihr Essen und Getränke brachten, ihr bei der Körperpflege halfen und ihre Kleidung und ihr Bettzeug in Ordnung hielten. Weiterhin gab es ungeduldige Geschöpfe, die ständig auf sie einredeten – wobei sie kaum etwas verstehen konnte, weil diese Wesen sich einer Sprache bedienten, die zwar vertraut, aber auch irgendwie merkwürdig klang – und die immerzu ihren Körper betasten wollten. Und dann gab es noch einige freundliche Geschöpfe, die den Raum sauber hielten, in dem sie sich befand, wobei auch
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