Hexenjagd
die immer wieder diese kaum verständliche Sprache benutzten.
Der Raum – ja, das war auch merkwürdig, überlegte sie. Sie befand sich keineswegs im göttlichen Gerichtssaal, wie zunächst angenommen. Allein die Anwesenheit der menschenähnlichen Wesen, die sie irrtümlich für Engel gehalten hatte, widerlegte diese Annahme. Engel hatten keinen realen Körper, den man anfassen und festhalten konnte! Außerdem hätte sie im Vorhof zum Paradies sicherlich keine körperlichen Schmerzen empfunden, wie es hier der Fall war, wenn man sie mit Nadeln traktierte, um sie zum Bluten zu bringen. Und Hunger oder Durst hätte sie auch nicht verspüren dürfen, wenn sie wirklich tot wäre! Wenn sie also alle Anhaltspunkte zusammennahm, konnte es nur eine Erklärung geben: Sie befand sich immer noch unter den Lebenden – und somit in menschlicher Gesellschaft! Gott hatte offenbar entschieden, dass Er sie nicht sofort in die Hölle verbannen, sondern zunächst den irdischen Richtern überlassen wollte, damit sie die Möglichkeit bekam, vor Ihm und aller Welt öffentlich zu bereuen. Merkwürdig war nur, dass man sie nicht sofort in den Kerker geworfen hatte, sondern in diesem merkwürdigen Haus gefangen hielt. Ob das wohl mit ihrem Befinden zusammenhing? Die augenscheinliche Besorgnis der fürsorglichen Leute und die eigenen Schwächeanfälle erhärteten diesen Verdacht immer mehr. Wäre sie völlig gesund gewesen, hätte man sie sicherlich sofort gerichtet. Offenbar wollte niemand eine Kranke strafen, weil er dann als herzlos gegolten hätte. Aber … auch wenn sie krank war – warum war man so freundlich zu ihr? Mitleid war ja schön und gut. Aber kein Mensch konnte so viel Mitgefühl für eine Totschlägerin aufbringen, dass er sie behandeln würde wie eine ganz normale Frau, die sich nie etwas zuschulden hatte kommen lassen. … Tot … genau! Wieso sprach eigentlich niemand von dem Toten, fragte sie sich zum wiederholten Mal. Alle wussten doch von dem gemeinen Meuchelmord! Oder etwa nicht? Hatte man die Leiche des Erschlagenen womöglich noch nicht entdeckt? … Nein, das war ganz und gar unmöglich, entschied sie. In so einem großen Haus gab es immer Bedienstete, die es in Ordnung hielten und die Wünsche und Bedürfnisse ihres Herrn erfüllten. Es konnte höchstens sein, dass man sich bisher nicht erklären konnte, wer die Tat verübt hatte. Sie wusste zwar nicht mehr, wo und wann genau man sie gefunden hatte. Aber sie erinnerte sich dunkel daran, dass sie Hals über Kopf von Victors Anwesen geflüchtet war, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Also war es denkbar, dass man wirklich nicht wusste, wen man für die Gräueltat verantwortlich machen sollte. Das war vielleicht auch der Grund dafür, warum man sie bisher zu dieser Sache weder befragt noch offiziell angeklagt hatte. …Venice! Hatte das Mädchen in all der Aufregung vielleicht nicht richtig hingesehen? Oder litt sie durch den Sturz möglicherweise an Gedächtnisschwund, so dass sie tatsächlich nicht mehr wusste, was genau passiert war und wer sie – Celia – aus dem Kloster verschleppt hatte? Wie auch immer, die Freundin schien nicht eine Silbe von dem verraten zu haben, was sich ereignet hatte! Aber vielleicht war sie selbst auch ernstlich verletzt und musste ebenfalls gepflegt werden, damit sie wieder gesund wurde? … Gesund. … Ja, natürlich! Man, besser gesagt, Lady Langley wollte offenbar sichergehen, dass ihre künftige Schwiegertochter trotz ihres vermeintlichen Schwächeanfalls völlig gesund war, und ließ sie daher gründlich untersuchen. Und sobald feststand, dass ihr nichts fehlte, würde die Hochzeit nachgeholt.
Celia war weit davon entfernt, Erleichterung zu empfinden, denn allein das Auftauchen des Gespenstes machte mehr als deutlich, dass sie sich der Strafe nicht entziehen konnte. Sollte sie tatsächlich dem weltlichen Gericht entgehen, was sie immer noch stark bezweifelte, würde sie doch zeitlebens das Blut des Getöteten an ihren Händen haben!
15
Frau Falquardt war sehr erleichtert, als man ihr den Vorschlag unterbreitete, denn auch sie war mittlerweile ratlos angesichts der Tatsache, dass Celiska ihre Anwesenheit zwar registrierte, aber stets so tat, als kenne sie die eigene Mutter nicht. Und so unterschrieb sie den Antrag auf Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung und überließ damit die Tochter der Obhut erfahrener Therapeuten, darauf vertrauend, dass sie bald wieder normal sein und als geheilt entlassen
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