Hexenjagd
um eine endgültige Diagnose stellen zu können. Sie geleitete die junge Frau aus dem Untersuchungszimmer, wobei sie insgeheim hoffte, dass keiner der anderen Patienten ausgerechnet in diesem Augenblick ausrasten und Rambo spielen würde.
Das Mittelstück der Station besaß einen langen, von unzähligen Deckenlampen ausgeleuchteten Gang, von dem aus Türen direkt in die Patientenzimmer führten. In jeder dieser Türen befand sich ein kleines Fenster, durch das man jederzeit in die Räume hineinsehen konnte, das jedoch im Innern als Spiegel fungierte. Aber weder Celiska noch die Ärztin beachteten diese Vorrichtungen, während sie zielstrebig Seite an Seite einhergingen, denn jede von ihnen war tief in Gedanken. Und so bemerkte Rebekka Celiskas Abwesenheit erst, nachdem sie schon einige Schritte weiter gegangen war. Sie blieb erschrocken stehen, sah sich suchend um, fand sich mutterseelenallein auf weiter Flur und kehrte augenblicklich um, um im Ruheraum – im Volksmund auch Gummizelle genannt – nachzusehen.
Wie vermutet, war Celiska tatsächlich durch die nächstbeste offene Tür getreten und so in einen Raum gelangt, der dazu diente, dass aufgebrachte Patienten sich darin austoben und am Ende beruhigen konnten, und der weder Bett noch Stuhl zu bieten hatte. In dem dämmrigen Licht des kleinen Zimmers, dessen Wände mit lederbezogenem Schaumstoff gepolstert waren, befand sich nur eine dicke Matratze auf dem Fußboden. Und genau davor hatte sich Celiska hingekniet, um ihr Gebet zu verrichten.
„Bingo“, murmelte Rebekka, wandte sich ab und eilte davon, um in aller Eile Celiskas künftiges Zimmer zurechtmachen zu lassen. Die ohnehin spartanische Möblierung brauchte man nicht zu ändern. Aber die blendende Helligkeit, durch schräg einfallende Sonnenstrahlen verursacht, wurde aus dem Zimmer verbannt, indem man die elektrisch betriebenen Jalousien herunterließ.
„Sie ist momentan nämlich in einem Kloster“, erklärte die Psychiaterin dem verdutzten Vincent. „Und damit sie nicht gleich durchdreht, weil sie nicht mehr weiß, wo sie überhaupt ist, soll sie ihren Glauben ruhig noch ein bisschen behalten.“ Im Kloster, das hieß, ihre Patientin hatte sich in ihr tiefstes Inneres verzogen, um allen weltlichen Ansprüchen zu entgehen, denn solange sie keine Anforderungen erfüllen musste, konnte sie sich sicher fühlen. Dass sie trotzdem Kontakte zu ihrer realen Umwelt zuließ, war ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich noch nicht völlig aufgegeben hatte. Hätte sie eine strikte Trennung gewollt, hätte sie sich gewiss eine andere „Bleibe“ ausgesucht, schlussfolgerte Rebekka.
„Und du meinst wirklich, dass das gut für sie ist?“, fragte Vincent zweifelnd. „Wenn sie die Möglichkeit erhält, ihre Flucht zu vollenden, verlieren wir sie doch! Dann kommen wir nie wieder an sie ran“, gab er ängstlich zu bedenken.
„Eine Flucht ist es nur so lange, wie ich es zulasse“, erwiderte Rebekka überzeugt. „Sie sieht mich als einen Teil ihrer Realität an. Also kann ich jederzeit zu ihr durchdringen, weil ich ihrer Meinung nach in der gleichen Welt lebe wie sie. Offenbar glaubt sie, ich sei eine Angehörige des Klosters, was sie ermutigt, mir zu vertrauen. Und wenn ich erreichen kann, dass dieses Vertrauen sich festigt und sie mir schließlich Einzelheiten über sich, ihre Gedanken und Ängste offenbart, habe ich einen Ansatzpunkt zum Handeln. Du weißt, manchmal braucht es nur Kleinigkeiten, um eine imaginäre Welt einstürzen zu lassen.“
Vincent hatte plötzlich ein ungutes Gefühl, ohne es begründen zu können, sagte aber nichts mehr. Er erfüllte Rebekkas Auftrag, um dann seiner normalen Arbeit nachzugehen. Celiska konnte er sowieso nicht helfen, dachte er resigniert. Warum sollte er sich dann in Dinge einmischen, von denen er nur sehr wenig Ahnung hatte? Sicher, er verstand etwas von Krankenpflege und der Betreuung geistig gestörter Menschen. Aber das umfassende Wissen eines Studierten, der die Ursachen dieser Störungen zu erkennen und schließlich zu heilen hatte, besaß er nicht!
Celia ließ sich widerstandslos aus dem Ruheraum herausholen. Merkwürdig, dachte sie für sich, dass man sie aus einer einfachen Besucherzelle in eine größere brachte, die offensichtlich für eine feine Dame zurechtgemacht worden war. Neben der obligatorischen Liege und dem einzelnen Stuhl fanden sich hier auch ein kleiner Nachtschrank und ein Tisch, auf dem Papier und Stifte lagen. Die fröhlichen Bilder an
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