Hexenjagd
erschöpft.
„Was soll ich Lady Langley sagen? Dass du keine Lust hast, ihre Gesellschafterin zu sein? Oder dass mein Fräulein Tochter auf ihren Märchenprinzen wartet, der sie eines Tages hier abholen wird, um ihr ein süßes Leben zu präsentieren?“
Das Mädchen registrierte das ärgerliche Funkeln in den Augen seiner Mutter, wagte jedoch nicht, eine Erwiderung von sich zu geben.
„Ich kann dich nicht länger untätig hier herumsitzen lassen“, schimpfte die Mutter unterdessen weiter. „Entweder gehst du ins Herrenhaus oder ins Kloster! Such dir etwas aus. Nur weil dein Vater Verwalter der herrschaftlichen Ländereien ist, ist das noch lange kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Du bist auch nur ein ganz gewöhnliches Frauenzimmer, das entweder den Herrschaften oder Gott zu dienen hat. Vergiss das nicht.“
Eigentlich gab es keinen Grund, die junge Frau so unter Druck zu setzen, denn sie war alles andere als faul und hatte bereits einen Großteil der Aufgaben übernommen, die eigentlich von der Frau des Verwalters hätten erledigt werden sollen. Dennoch war die Mutter bemüht, die Tochter in die gewünschte Richtung zu drängen, weil eine Anstellung im Herrenhaus ungeahnte Möglichkeiten eröffnete, was ihre gesellschaftliche Zukunft betraf. Ihr Rang war eindeutig höher als der der Bauern, da ihr Vater ein Edelmann war – unbedeutend zwar, aber dennoch blaublütiger Abstammung. Trotzdem stand sie immer noch weit unter dem Landadel, welcher hier herrschte, und würde sich daher mit einer bescheidenen Heirat begnügen müssen – ja, vielleicht sogar einen Bewerber in Erwägung ziehen, der allein auf ihre nicht unbeträchtliche Mitgift aus war. Das Mädchen selbst fand keinen Unterschied zwischen sich und den Dorfbewohnern. Es wusste, man hatte dem Vater die Verwalterposition bloß deshalb gegeben, weil man ihn nicht ignorieren konnte. Aber das war auch schon alles, was man ihm zugestand. Er wurde zwar ein wenig besser behandelt als die Bauern, war aber im Grunde genommen nicht mehr wert als sie. Allein seine Befehlsgewalt über seine Untergebenen erhob ihn über die Feldarbeiter und Schweinehirten. Dass seine Frau mit dieser Situation nicht einverstanden war, war kein Geheimnis. Wann immer jemand zugegen war, der ihr bereitwillig zuhörte, beschwerte sie sich über die niedere Stellung, die sie innerhalb der so genannten besseren Gesellschaft einnehmen musste, obwohl sie aus gutem Hause stammte. Aber jetzt schien sie sich etwas überlegt zu haben, womit sie in der Hierarchie der herrschenden Klasse ein wenig aufwärts klettern konnte. Das Angebot aus dem Herrenhaus war viel zu verlockend, als dass man darauf verzichten konnte. Immerhin stieg auch das Ansehen der Eltern, wenn die Tochter als Gesellschafterin der Herrin aufgenommen wurde.
„Wann soll ich denn anfangen?“ Auch wenn es nichts lieber wollte, als im Hause der Eltern zu bleiben, war sich das Mädchen bewusst, dass es kaum eine Chance hatte, seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Also gehorchte es – so wie man es von ihm gewohnt war.
Bei Morgengrauen verfrachtete man die junge Frau in die offene kleine schwarze Kutsche des Verwalters, legte ihr den Kleidersack vor die Füße und wünschte ihr viel Glück. Dass der Vater beim Abschied nicht anwesend war, machte sie unendlich traurig, doch sie wusste ihn in seiner Kammer, wo er einen mordsmäßigen Rausch ausschlief. Gleichzeitig war sie sich gewiss, dass sie ihn trotzdem ab und an zu sehen bekommen würde, denn er musste ja ins Herrenhaus kommen, um die Bücher vorzulegen, in welche alles peinlich genau notiert wurde. Er liebte zwar seinen Wein über alles, mehr als seine zänkische Frau und vielleicht auch mehr als sie – sein einziges Kind. Aber seiner Gewissenhaftigkeit und Ehrlichkeit schadete dies überhaupt nicht.
Das Mädchen hatte gerade noch Zeit, einen letzten Blick auf das düstere Haus zu werfen, da rollte die kleine offene Kutsche auch schon vom Hof auf die Straße hinaus, die zu ihrem neuen Zuhause führte. Rumpelnd und quietschend polterte das schwere Gefährt über die unebene Pflasterstraße und brachte damit immer mehr Distanz zwischen seine Passagierin und deren Elternhaus.
Die junge Frau saß unterdessen auf der harten Bank hinter dem Pferdelenker und starrte blicklos vor sich hin. Ungeachtet der heftigen Schaukelbewegungen, die sie mal zu dieser, mal zur anderen Seite warfen, hielt sie sich sehr aufrecht. Als der Mann plötzlich die Pferde zügelte und abrupt zum
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