Hexenjagd
bereits einen Schlussstrich unter die Sache gezogen hat. Liegt es vielleicht daran, dass sie Nils und ihre alte Firma nicht getrennt voneinander sehen kann? Dass sie beiden gegenüber Schuld-und Schamgefühle hat? Sucht sie deshalb Asyl in einem Kloster? Gebraucht sie ihre Frömmigkeit, um auf diesem Wege den ungeliebten Verpflichtungen zu entgehen?“ Weil sie auf all diese Fragen momentan keine Antwort kannte und die Pause ohnehin zu Ende war, bedeutete sie Vincent, dass sie das Gespräch für beendet hielt. Jetzt musste sie doch zu gemeinen Mitteln greifen, dachte sie verärgert. Sie würde Celiska eine Falle stellen müssen, um an die Informationen zu kommen, die diese nicht freiwillig preisgab.
Rebekka und Vincent gingen gerade den langen Stationsflur entlang, da machte ihnen ein plötzlich einsetzender Tumult im Aufenthaltsraum Beine. So schnell sie konnten, rannten sie auf die offene Tür zu, durch die ihnen ein höllischer Lärm entgegenschallte.
Vincent griff sich geistesgegenwärtig einen Mann, der mit erhobenen Fäusten auf einen anderen losgehen wollte, und zerrte ihn mit sich. Rebekka blieb einfach nur stehen, um die Situation zu erfassen. Dass die Patienten, die bisher völlig friedlich nebeneinander gesessen und ferngesehen hatten, so unvermittelt aus dem Häuschen gerieten, war schon sehr erstaunlich, dachte sie stirnrunzelnd. Andererseits war ihr Aufstand aber auch nicht weiter verwunderlich, denn die Stimme, die nun am lautesten kreischte, gehörte einer Frau, die jeden aus dem Konzept bringen konnte, der nicht auf ihre plötzlichen Anfälle vorbereitet war.
„Hexe!“ Senta war eine klapperdürre Endvierzigerin mit wasserhellen Augen und dünnem blonden Haar und seit nunmehr vierzehn Jahren unter ständiger ärztlicher Aufsicht, da sie an schwerem Verfolgungswahn litt. Auslöser für ihre hysterischen Anfälle war meist der Anblick von rothaarigen Frauen, wobei es bisher niemandem gelingen wollte heraus zu finden, warum das so war. Und so stand sie auch jetzt mitten im Raum und keifte: „Verdammte Hexe! Verschwinde hier! Du hast hier nichts zu suchen! Deine Hexenaugen machen alle verrückt! Und deine roten Haare fliegen überall herum! Du bringst nur alle durcheinander! Wo hast du deinen Besen, hä? Und was hast du in meinen Becher getan? Seit du an mir vorbeigegangen bist, hab ich Bauchschmerzen! Giftmischerin! Jawohl, das bist du!“
Durch das Geschrei aus dem gewohnten Trott gerissen, reagierte jeder einzelne ihrer Mitpatienten auf seine eigene Weise: Einige zogen sich verängstigt zurück. Andere dagegen beteiligten sich jetzt an den wüsten Beschimpfungen, die allein Celiska galten, die sich mittlerweile in einen Sessel verkrochen hatte und nun versuchte, sich so klein wie nur irgend möglich zu machen.
Also hatte man doch Anklage erhoben, dachte Celia zutiefst bestürzt. Wie sonst war es zu erklären, dass man sie jetzt ganz offen und für alle Ohren hörbar dieses Verbrechens bezichtigte? Sicherlich hatte die Äbtissin noch nichts davon gewusst, als sie sie aus der Zelle holen ließ, damit sie den Nonnen in der Armenküche aushalf und den Tee an die wartenden Menschen verteilte. Aber jetzt wusste sie es – ihr Blick sprach Bände! Alle wussten es jetzt, weil diese … diese Person schneller gewesen war als jeder Bote!
Rebekka indes wusste, sie musste nun schleunigst reagieren, wollte sie nicht das Risiko eingehen, dass ihre Patienten sich gemeinsam auf Celiska stürzten, um ihre durch den allgemeinen Aufruhr angestachelten Aggressionen an ihr auszulassen. Also machte sie einen großen Satz in ihre Richtung, packte die junge Frau am Oberarm, zerrte sie auf die Beine und bugsierte sie augenblicklich aus dem Aufenthaltsraum hinaus, um sie in ihr eigenes Zimmer zu bringen, während die anderen Patienten von zwei herbeigeeilten Pflegekräften in Schach gehalten und nach und nach beruhigt wurden.
„Was war da los?“, fragte sie streng, sobald die Tür geschlossen war.
„Die Anklage! Sie … Mary hat es als Erste gesagt! Es …“, stammelte Celia. „Alle meinen, ich sei eine Hexe! Sie wollen mich vor ein Gericht bringen, damit ich verhört werde!“
In ihrer Aufregung wählte Celiska eine einzige Sprache, was Rebekka keineswegs verwunderte. Die Psychiaterin staunte vielmehr über das, was ihre Patientin ihr gerade mitgeteilt hatte. Das machte nun in der Tat einiges verständlich, worüber sie bisher nur hatte rätseln können. Die Sache war wohl mit dem Stellungswechsel nicht
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