Hexenjagd
den Wänden wollten allerdings nicht zu einem Kloster passen. Weltliche Darstellungen menschlicher Baukunst hatten hier nichts zu suchen, dachte sie empört, hängte die beiden Bilder auf der Stelle ab und übergab sie der Nonne, welche die Äbtissin begleitete.
„No Häuser“, verlangte sie. „I’d like ein Bild von Mary and the child!“ Kaum waren ihr diese Worte entschlüpft, da fühlte sie auch schon ihre Wangen brennen und wäre am liebsten im Boden versunken vor Scham. Wie konnte sie nur, tadelte sie sich selbst. Mit welchem Recht stellte sie Forderungen? Vor allem aber: Wie kam sie dazu, in solch einem Tonfall mit Menschen zu sprechen, die sich frag- und bedingungslos bereit zeigten, ihr Brot und Unterkunft zu gewähren, während andere sie noch nicht einmal in ihrer Nähe duldeten?
„Schon gut“, beschwichtigte die Ärztin sowohl die Patientin als auch die Schwester. „Sie soll ein anderes Bild bekommen.“
*
„Ich komme einfach nicht weiter“, seufzte Rebekka entnervt. „Sobald ich ihr Fragen zu ihren Gefühlen stelle, fällt der Vorhang. Sie guckt mich an wie ein Mondkalb und tut so, als hätte sie mich nicht verstanden. Dabei weiß ich genau, dass sie mich versteht. Schließlich reagiert sie immer auf meine Worte!“ „Was vermutet sie, wer du bist?“, wollte Vincent wissen.
„Weiß nicht.“ Die Gefragte zuckte ungeduldig mit den Schultern. „Eine Nonne vielleicht oder eine einfache Frau, die bloß im Kloster arbeitet? Kann natürlich auch sein, dass sie mich für die Klosterleiterin hält, was ihre Bereitschaft erklären würde, so relativ offen über sich zu sprechen. Weiß der Geier, was sie in mir sieht! Ist mir ehrlich gesagt momentan auch völlig schnuppe, weil ich nämlich nicht mehr weiß, wie ich mit ihr weiterkomme!“ Sie knabberte am oberen Ende ihres Kugelschreibers herum, schmiss ihn schließlich zornig weg und stand auf. Eine unruhige Wanderung durch den Raum beginnend, sprach sie die Gedanken laut aus, die ihr nun durch den Kopf gingen: „Sie hat mir ein paar Brocken hingeworfen, aber jetzt schweigt sie sich aus. Offensichtlich hat sie sich ins sechzehnte Jahrhundert zurückgezogen, weil es weit genug von der Gegenwart weg ist. Ich weiß mittlerweile, dass die ‚Herrin’ für sie die alte Firma ist. Ich weiß auch, dass ‚Mary’ für diese Frau – wie hieß sie noch? Du weißt schon, dieses intrigante Miststück von Chefsekretärin aus ihrer alten Firma! Ahrent? Also, ‚Mary’ steht für Frau Ahrent. Und ‚Nicholas’ ist augenscheinlich Nils, dein Bruder. Aber wo ist da der Zusammenhang? Ich blicke einfach nicht mehr durch. So wie sie es darstellt, sollte doch eigentlich alles in allerbester Ordnung sein. Mary ist mittlerweile weggeschickt worden, kann ihr also nichts mehr anhaben. Die Herrin ist zwar immer noch ungehalten, will ihr im Grunde genommen aber auch nichts mehr tun, weil sie ja demnächst zur Familie gehören wird. Und Nicholas bietet ihr ein Leben an, von dem andere Frauen ihres momentan gewählten Zeitalters nur träumen könnten. Und trotzdem! Wieso hab ich immer das Gefühl, dass ich etwas Entscheidendes übersehe? Warum zieht sie sich so konsequent in ein Kloster, also vor ihrer Umwelt zurück, wo doch die Hochzeit mit einem vermögenden Mann und damit ein sorgenfreies Leben unmittelbar bevorsteht? Will sie ihn vielleicht gar nicht? Und warum ausgerechnet ein Kloster? Konnte sie sich nicht einfach von Nils trennen und stattdessen einen anderen Mann nehmen?“
„Sie hat ihm ihr Wort gegeben“, sagte Vincent nachdenklich.
„Was?“, erwiderte Rebekka ungehalten. „Was denn für ein Wort? Bist du blöd, oder was? Oder bin ich jetzt schwer von Begriff?“
„Ihr Jawort“, erklärte er leise. Es war mehr eine Vermutung denn sicheres Wissen. Aber es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wenn man Celiska kannte, wusste man, dass sie zu ihrem Wort stand – ganz egal unter welchen Bedingungen sie es einlösen musste oder in welcher Verfassung sie war. War das auch so bei ihrem Versprechen gewesen, Nils zu heiraten? War ihr Pflichtbewusstsein tatsächlich so stark ausgeprägt, dass sie noch nicht einmal in ihrer Scheinwelt davon loskam? Auch wenn sie mittlerweile erkannt hatte, dass sie einen Fehler beging, wenn sie sich auf diese Ehe einließ?
„Es kann sie doch niemand zwingen“, sagte Rebekka in seine Gedanken hinein. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dein Bruder zu solchen Mitteln greifen würde, um eine Frau zu halten“,
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