Hexenjagd
Weinkrampf geschüttelt wurde.
Totalzusammenbruch, erkannte Rebekka und rannte auch schon ins Stationszimmer, um eine Spritze zu holen. Es war die einzige Möglichkeit, um Celiska zu beruhigen, bevor diese möglicherweise noch tiefer in ihrer Welt versank und vielleicht sogar den Kontakt zur Realität vollends abbrach. Also injizierte sie eine hohe Dosis des Sedativums und blieb dann neben dem Bett sitzen, bis ihre Patientin erschöpft die Augen schloss. Vincent war also Victor, überlegte sie. Es sei denn, Nils besaß noch einen Bruder. Nein, korrigierte sie sich sogleich selbst, er hatte nur einen Halbbruder – und das war Vincent! Aber warum hatte ihn Celiska sterben lassen, wo sie sich doch eindeutig zu ihm hingezogen fühlte? Sah sie in ihm wirklich so eine große Gefahr, dass sie ihn endgültig aus ihrem Leben entfernt sehen wollte? Oder waren es die eigenen Gefühle, vor denen sie sich so fürchtete? Das Beste war, man brachte sie zum Sprechen, beschloss die Ärztin schließlich. Celiska musste reden! Ohne Wenn und Aber. Aber mit wem? Sich selbst schloss Rebekka dabei aus, weil sie sicher sein konnte, das erworbene Vertrauen wieder verloren zu haben. Vincent kam erst recht nicht in Frage, weil er ja der Auslöser des emotionalen Stresses war. Wer also? Die Psychiaterin rekapitulierte die einzelnen Stichpunkte, die sie während der Gespräche mit Celiska gesammelt hatte, und schnaubte am Ende so befriedigt, als hätte sie eine schwere Aufgabe gemeistert. Es musste ein Pfarrer her, stellte sie fest. Die Kleine würde mit einem Geistlichen reden müssen, denn sie musste ja beichten. Und wenn sie Celiska richtig einschätzte, dann würde diese niemals lügen, dachte sie grimmig. Vor allem nicht in der Gegenwart eines geweihten Mannes! Auch wenn die Gesetze der Bibel in der heutigen Zeit nicht mehr ganz so penibel ausgelegt wurden, galten doch für die verstörte junge Frau immer noch die antiquierten Gebote und Moralvorstellungen.
Da fiel Rebekka jäh etwas ein, was sie bisher nicht bedacht hatte. Also beschloss sie, zunächst einmal dieser Idee nachzugehen.
„Sag mal – wie sah der Kerl aus, den sie ausgeknockt hat?“
„Was?“ Mit seinen Gedanken immer noch bei der Krankenakte des Neuzugangs, den er in zwei Stunden übernehmen sollte, schaute Vincent reichlich verständnislos drein, als Rebekka ins Stationszimmer gestürzt kam, um ihm diese Frage zu stellen.
„Du weißt schon“, entgegnete sie ungeduldig. „Der Kerl, der Celiska in die Jagdhütte verschleppt hat! Wie sah der aus? Sah er dir vielleicht ähnlich? Ich meine, hatte er was an sich, was man mit dir in Verbindung bringen könnte?“
„Nein“, erwiderte Vincent gedehnt. „Nicht dass ich wüsste. Wieso?“
„Wie groß war er?“, überging sie seine Frage.
„Na ja.“ Er versuchte sich zu entsinnen, wusste jedoch nicht mehr, ob er den Freund seines Bruders überhaupt im Stehen gesehen hatte oder nicht. Allein die Erinnerung an seinen eigenen Zorn und einen blutenden Kopf war noch da. „Keine Ahnung“, gestand er. „Aber …“
„Und seine Haare?“, unterbrach sie ihn. „Waren die vielleicht so schwarz wie deine?“
„Kann sein.“ Er wurde langsam ungehalten, weil sie ihm so zusetzte, ohne ihre Neugierde zu begründen. „Aber was …“
„Und seine Stimme?“, fuhr sie erneut dazwischen. „War die vielleicht ähnlich tief wie deine?“
„Schon möglich“, grollte er verärgert. „Aber was soll das? Kannst du mir mal verraten, was das alles mit ihrem jetzigen Zustand zu tun hat?“
„Du bist ein Geist“, wich sie einer direkten Antwort zunächst aus.
„Was bin ich?“ Vincent starrte die Ärztin an, als sei sie völlig durchgedreht. Nun ja, dachte er leicht besorgt, manchmal schien der Geisteszustand der Patienten wirklich auf den Therapeuten überzugreifen. Andererseits – sie war berüchtigt für ihre makabren Witze. „Du hast sie wohl nicht mehr alle“, brachte er endlich hervor und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Ein blöder Scherz!“
„Nein! Wirklich!“ Rebekka erschien mit einem Mal so aufgedreht wie ein nervös umherflatternder Falter. „Für Celiska bist du ein Gespenst!“ Ihre ruhelose Wanderung aufgebend, baute sie sich vor ihm auf, um ihn aufmerksam anzusehen, während sie fortfuhr: „Jetzt kann ich endlich verstehen, warum sie jedes Mal umkippt, wenn sie dich sieht. Weil du nämlich jemandem sehr ähnlich sein musst, der in ihrer Welt tot ist, kann sie deine
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