Hexenjagd
denken wie der Alte.“
Celia schluckte schwer. Ja, sie wusste von dem Vorfall. Aber dass die hochnoblen Herrschaften so nachtragend waren und selbst nach mehreren Monaten noch keine Gnade walten lassen wollten, hatte sie nicht gewusst. Wie lächerlich diese Haltung war, schien den Oberen nicht klar zu sein, grollte sie im Stillen. Die Blaublüter verzichteten also auf regelmäßige Steuereinnahmen durch fleißig arbeitende Menschen, nur um ihre Macht und ihren Einfluss zu demonstrieren, indem sie diese Menschen ohne Arbeit und völlig nutzlos dahinvegetieren ließen. Dabei schien es keinen von ihnen zu kümmern, wie und wann diese armen Leute starben. Überhaupt schienen die Oberen alle anderen Menschen, die nicht zu ihrem Stand gehörten, als unwürdig zu betrachten. Wobei ihnen völlig zu entgehen schien, dass sie von diesen Menschen abhängig waren! Welcher König konnte schon herrschen, wenn niemand da war, der sich beherrschen ließ? Und was würden die feinen Herrschaften essen, wenn es keine Bauern gäbe, die die Nahrungsmittel anbauten, pflegten und ernteten? Und was würden sie anziehen, wenn es nicht die Weber und Schneiderleute gäbe, die die kostbaren Roben herstellten, deren Gebrauch ihnen selbst nicht in hundert Jahren vergönnt sein würde, weil sie nie so viel Geld zusammenbringen würden, um sie auch bezahlen zu können?
„Wir sind gleich da“, ließ der Kutscher verlauten.
Celia reckte den Hals, um ihre Umgebung besser sehen zu können. Sie hatte von dem Herrenhaus viel gehört, doch gesehen hatte sie es bisher nicht, denn es war nie Gelegenheit gewesen, den Vater zu begleiten. Entsprechend neugierig war sie jetzt, wie ihr neues Zuhause aussehen würde. Doch kaum war ihr Blick auf das Anwesen gefallen, fühlte sie tiefe Enttäuschung in sich aufsteigen, denn ihre Erwartung erfüllte sich nicht. Im Gegenteil! Statt eines schlossähnlichen Bauwerkes stand da ein düsteres Gebäude, dem im Laufe vieler Generationen immer wieder neue Anbauten hinzugefügt worden waren. Man hatte zwar darauf geachtet, den gleichen Baustil beizubehalten, doch die neuen Gebäudeflügel waren deutlich von den alten zu unterscheiden, weil die Steinquader, aus denen die dicken Mauern bestanden, viel heller und zudem weit sparsamer verziert waren. Allein der üppig bewachsene parkähnliche Garten, der das hässliche Gebäude umgab, milderte den einschüchternden Eindruck. Wie zu Hause, dachte sie im Stillen. Da brauchte sie sich gar nicht erst umzugewöhnen!
„Ich glaube, Ihr werdet schon erwartet“, raunte der Kutscher.
Das Mädchen folgte mit den Augen der Richtung, in die er mit dem Kinn gedeutet hatte, und entdeckte eine kleine Gruppe schwatzender Frauen, welche auf der breiten Freitreppe standen, die zum pompösen Eingang des Herrenhauses führte. Die Damen schienen in ein sehr interessantes Gespräch vertieft, denn keine sah der Kutsche entgegen. Erst als das Gefährt vor den Stufen zum Stehen kam, wurde man aufmerksam, so dass das Geplapper nach und nach verstummte.
Ein wenig zögernd stieg Celia aus der Kutsche und kletterte die Stufen hinauf. Sie wusste, sie wurde sehr genau beobachtet, also gab sie sich alle Mühe, ja keinen Fehler zu begehen. Aber obwohl sie sich mit einem vollendeten Knicks und vornehm leiser Stimme vorstellte, erntete sie bloß ein herablassendes Naserümpfen.
„Kinder, lasst mich nicht so lange warten!“, ertönte eine leidend klingende Frauenstimme aus dem Innern des Hauses. „Ist das neue Mädchen jetzt endlich da?“
Lady Langleys Rufen bewirkte eine erstaunliche Wandlung bei den Dastehenden. Plötzlich taten sie sehr freundlich und geleiteten den Neuankömmling äußerst zuvorkommend in den großen Salon, wo eine zerbrechlich wirkende kleine Frau auf einem Diwan lag und erwartungsvoll zur Eingangstür blickte.
„Welch ein hübsches Vögelchen“, rief die alte Dame erfreut aus. „Genau das Richtige für meine Sammlung!“ Beim letzten Wort bemerkte sie das Unverständnis in den grünen Augen des Mädchens und verfiel in ein haltloses Kichern. „Ich sammle nämlich schöne junge Frauen um mich, damit ein wenig von ihrer Schönheit auf mich zurückfällt. Nun?“, fragte sie mit einem koketten Lächeln auf den Lippen. „Ist es mir nun gelungen? Oder nicht?“
Die Gefragte kam gar nicht erst dazu, eine Antwort zu formulieren, denn die Schar der Gesellschafterinnen wollte sich schier überschlagen bei dem Versuch, ihrer Herrin Komplimente zu machen. Dass es im Großen und
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