Hexenjagd
nachvollziehen, wieso dessen Miene plötzlich so ernst, ja beinahe traurig wirkte.
„Es geht um die Kleine.“ Dem alten Herrn war es äußerst unangenehm, über Dinge zu reden, die ihn eigentlich nichts angingen. Dennoch tat er es jetzt, denn er wollte „seinen“ Jungen vor einer bitteren Enttäuschung bewahren. „Du hast dich doch nicht etwa in die Kleine verguckt?“ Dumme Frage, schalt er sich sogleich selbst. Selbst ein Blinder hätte mittlerweile mitgekriegt, dass Vincent bei Celiskas Anblick buchstäblich dahin schmolz. Und doch … So wie’s aussah, sollte der das Mädchen nicht bekommen, wobei Herrn Rosenbaum diese Erkenntnis fast so wehtat wie das Wissen, dass die junge Frau, die er außerordentlich gern mochte, nicht mehr allzu lange in seinem Hause bleiben würde. „Normalerweise kümmere ich mich nicht um das Privatleben anderer“, entschuldigte er sich schon im Voraus. „Aber in diesem Fall, denke ich, muss ich dich warnen. Sie scheint in festen Händen zu sein. Ich kenne den jungen Mann zwar nicht, hab ihn ehrlich gesagt auch noch nie richtig gesehen, aber er hat sie ein paar Mal besucht. Außerdem hat sie angedeutet, dass sie bald ausziehen wird. Ich denke … Vielleicht wollen sie sich eine gemeinsame Wohnung nehmen – oder so.“ Der Schmerz in Vincents Augen machte ihm die Kehle eng. „Ich dachte“, sagte er leise, „ich warne dich rechtzeitig, bevor du irgendwas unternimmst. Täte mir Leid, wenn du dir Hoffnungen machen würdest, die die Kleine nicht erfüllen kann.“
„Ist gut.“ Vincents Stimme klang so dunkel wie nie zuvor. „Ich geh dann wohl. Danke für den schönen Abend.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verließ fluchtartig das Haus. Aus, kreiste es immerfort in seinem Kopf. Ihr Herz gehörte also schon längst einem anderen. Und er selbst? Er hatte nie eine Chance gehabt, gestand er sich endlich ein.
Die kleine Hütte bot kaum Platz für die Familie. Trotzdem hatte man den Gast mit großer Freude aufgenommen, denn allein der jungen Frau und deren selbstloser Wohltätigkeit war es zu verdanken, dass das zuletzt geborene Kind noch lebte und der Älteste von achten mittlerweile leidlich lesen und schreiben konnte.
Celia saß vor dem gemauerten Kamin und wärmte die eiskalten Hände am offenen Feuer. Sie trug immer noch Victors schweren Umhang, war sich dessen jedoch gar nicht mehr bewusst. Auch dass man einen Holznapf mit heißer Suppe neben ihr abgestellt hatte, damit sie sich auch innerlich ein wenig aufwärme, drang nicht bis zu ihrem Bewusstsein vor.
„Miss Celia?“ Der spindeldürre kleine Junge stand unmittelbar neben der jungen Frau und betrachtete mit großen Augen die kostbaren Stickereien, welche die Säume des Umhangs zierten. „Ist das dein Sonntagsmantel?“
„Was?“ Celia wusste beim besten Willen nicht, was das Kind von ihr wollte, denn ihre Gedanken waren Meilen entfernt gewesen, so dass sie Mühe hatte, in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Was für ein Mantel denn?“, fragte sie.
Der Kleine kicherte verhalten angesichts ihrer Begriffsstutzigkeit, nahm dann aber einen Zipfel des kostbaren Stoffes auf und hob ihn in ihre Augenhöhe.
„Dieser Mantel“, erklärte er grinsend.
Celia betrachtete die kindlichen Finger, die immer noch den dicken Wollstoff festhielten, als seien es fremdartige Gewächse, die sie nie zuvor gesehen hatte. Doch dann erinnerte sie sich und sog zischend den Atem ein. Victor würde nach ihr suchen! Er würde mit Sicherheit seinen Mantel wiederhaben wollen, denn der war in der Tat ein Vermögen wert. Außerdem war Victor bestimmt noch böse auf sie, weil sie ihm nicht zu Willen gewesen war, und würde daher nicht darauf verzichten wollen, sie auf die eine oder andere Art bestraft zu sehen.
Bodenlose Furcht schnürte ihr die Kehle zu, so dass sie kaum noch genügend Luft bekam. Zudem raste ihr Herz, was ihr zusätzlich Angst machte. Aber so sehr sie auch gegen die aufsteigende Ohnmacht kämpfte, sie kam gegen die dunkle Schwärze nicht an, die sich ihrer Sinne bemächtigte. Ehe jemand herbeispringen konnte, um sie aufzufangen, kippte sie vornüber und rutschte von der Bank, wobei sie mit dem Kopf zuerst auf dem Boden aufschlug.
Eine Ewigkeit schien vergangen, als die junge Frau endlich die Augen öffnete, um sich benommen aufzurichten. Nicht gleich sicher, wo sie sich befand, sah sie sich aufmerksam um und erkannte am Ende, dass man sie wohl zum Herrschaftshaus zurückgebracht und in ihre eigene
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