Hexenjagd
respektieren können. Außer mir bringt er allerdings niemandem Respekt entgegen.“ Wieder nippte sie an ihrem Tee. „Armer Junge“, fuhr sie leise fort. „Sitzt zwischen allen Stühlen, ohne recht zu wissen, wo er hingehört. Auch wenn er mittlerweile großes Vermögen hat, wird er von der Familie meines seligen Mannes doch nicht richtig akzeptiert.“
Entsetzlich, dachte Celia voller Mitleid. Kein Wunder, dass Victor zu einem harten Mann geworden war – man hatte ihm ja kaum eine andere Wahl gelassen! Trotzdem verdiente er Respekt, denn obwohl er nur durch die Gnade und das Wohlwollen der rechtmäßigen Frau seines Vaters überlebt hatte, war er nicht zum Kriecher und Speichellecker geworden wie manch andere Günstlinge der herrschenden Gesellschaft. Aber dafür hatte er sich zum Diener eines viel mächtigeren Herrn gemacht, ermahnte sie sich selbst.
An den letzten Gedanken klammerte sich Celia nun mit aller Macht, weil es die einzige Möglichkeit überhaupt war, den Gefühlen zu trotzen, die sie für den Mann empfand.
„Celia! Komm schnell! Die Herrin will dich sehen.“ Venice stand in der geöffneten Kammertür und wedelte aufgeregt mit den Händen. „Sie hat fürchterliche Kopfschmerzen und will, dass du ihr hilfst!“
Die Angesprochene hatte gerade vor dem Bildnis der Heiligen Jungfrau ihr Nachtgebet gesprochen und zwang nun ihre vor Kälte erstarrten Glieder zur Bewegung. Sich aufrappelnd, glättete sie ihr Nachthemd, griff dann nach einem großen Wolltuch, schlang es um die Schultern und hastete am Ende die Treppe hinunter. Es war bereits späte Nacht, rechtfertigte sie sich, so dass ihr kaum jemand begegnen würde, der Anstoß an ihrem Äußeren hätte nehmen können. Und außerdem wäre zum Umziehen ohnehin keine Zeit mehr gewesen, denn wenn Lady Langley rief, hatte man unverzüglich zu gehorchen.
„Ah, mein kleiner Engel kommt!“ Die leidende Miene der alten Dame hätte Steine erweichen können. Sie lag auf ihrem Diwan und ließ buchstäblich alles hängen – von der Unterlippe des Schmollmundes bis hin zu einer kraftlosen Hand. „Bitte“, flehte sie, sobald die junge Frau zu ihr trat, „hilf mir. Mein Kopf zerspringt gleich in tausend Stücke. Hast du nicht ein Kraut dagegen?“
Celia schüttelte bloß den Kopf. Gegen Langeweile gab es kein Kraut, dachte sie ärgerlich. Und Langeweile war eindeutig der einzige Grund, warum man sie aus ihrer Kammer geholt hatte. Lady Langley war noch nicht müde, also hatten auch alle anderen nicht müde zu sein, sondern zu ihrer Verfügung zu stehen.
„Ich werde Euch ein wenig den Nacken massieren“, bot sie an. „Vielleicht hilft das ein bisschen. Aber versprechen kann ich Euch nichts.“ Mit diesen Worten setzte sie sich hinter die alte Dame und hob das lange weiße Haar an, um an den Nacken zu kommen. Gleich darauf ertastete sie einige verhärtete Stellen, die die unnatürliche Kopfhaltung der Liegenden verursacht hatte, und begann diese sanft, aber zielstrebig zu bearbeiten.
„Au!“ Als hätte man sie gestochen, schnellte Lady Langley hoch und sah sich voller Empörung nach ihrer Peinigerin um. „Du bist grob, meine Liebe. Musst du denn so fest zupacken? Man könnte meinen, von einem ungehobelten Bauern traktiert zu werden!“ Ungeachtet der aufeinander gepressten Lippen ihrer künftigen Schwiegertochter, die ihre Verärgerung kaum mehr verhehlen konnte, scheuchte sie die junge Frau fort, damit sie sich wieder bequem hinlegen konnte. „Vielleicht wäre es besser, wenn du mir jetzt einen Schlaftrunk zubereiten würdest.“
Ohne eine Erwiderung straffte sich Celia, zog das Wolltuch enger um die Schultern und wandte sich ab, um sogleich zum Küchentrakt zu laufen. Obwohl sie erbärmlich fror, suchte sie die erforderlichen Dinge zusammen, entfachte das Feuer im Ofen neu und stellte dann den Topf mit dem Bier auf die Herdplatte. Nachdem sie den Honig hinzugefügt hatte, wartete sie, bis das Ganze sich erwärmte, und zog dann mit einer Hand das Gefäß beiseite, während sie mit der anderen nach dem bereitgestellten Becher tastete.
„Na, kleine Schönheit? Wollt Ihr etwa wieder stehlen?“
Celia hatte während ihrer Arbeit weder jemanden kommen gesehen noch gehört, dass man an sie herantrat. Als nun die leise Männerstimme direkt hinter ihrem Rücken ertönte, zuckte sie zusammen und fuhr augenblicklich herum, um den Sprecher ansehen zu können. Gleichzeitig begann das Wolltuch zu rutschen, so dass das weiße Batist-Hemd sichtbar wurde,
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