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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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direkt in den Himmel fliegen. Ins Mamaparadies. Und das hat Edi getan! Edi ist ein Schatz. Edi hat Mama glücklich gemacht.«
    »Tutti paletti«, flüsterte Edi.
    »Mama saust auf dem Weg in den Himmel zuerst durch einen dunklen Tunnel, an dessen Ende ein helles Licht wartet. Mama wird darauf zu fliegen, voller Freude auf das, was vor ihr liegt. Und wenn sie das Ende des Tunnels erreicht hat, wartet dahinter das Paradies. Ein Paradies, in dem es keine Tränen, keine Ängste und keine schreienden Käuzchen mehr gibt. Mama wird unter einem Apfelbaum sitzen und auf Edi warten, bis Edi kommt. Bis Edi auch erlöst ist und Mama Edi danke sagen kann.«
    Edi nickte und strahlte selig. »Das war nett – dann ab ins Bett.«
    »Benissimo, Edi. Wenn Mama sich nicht mehr bewegt
und nichts mehr sagt, weil ihre Seele längst im Tunnel unterwegs zu dem Licht ist, geht Edi schnell aus dem Haus. Edi ist brav, lässt alles so wie es ist und geht durch den Wald zurück. Zu Hause wäscht sich Edi die Hände und zieht sich seinen liebsten Schlafanzug an. Dann schläft Edi.«
    »Mama weg – ab ins Bett – das ist nett«, sagte Edi ganz ernsthaft.
    Elsa schob ihm einen weiteren Karamellbonbon in den Mund.
    »Edi braucht sich keine Sorgen zu machen, was Edi getan hat, ist gut, aber Edi darf auch mit niemandem darüber reden. Mit niemandem. Das ist ein Geheimnis zwischen Edi und Elsa und Mama. Die Himmelsleiter besteht aus lauter Geheimnissen.«
    »Auf der Leiter – immer weiter.«
    »Genau. Wenn Edi ein Geheimnis verrät, tritt die Mama ins Leere und stürzt ab. Es gibt große Geheimnisse und kleine. Dies ist ein großes, Edi, und wenn die Sprosse zerbricht, ist die Lücke so gewaltig, dass die Mama die Leiter nicht mehr hinaufklettern kann.«
    »Edi still – wie Elsa will«, presste er heraus und nickte heftig. Das konnte er sich gut vorstellen. Er wollte auf keinen Fall daran schuld sein, dass seine Mama das Paradies nicht erreichen konnte.
    »Morgenrot – Mama tot«, fügte er am Schluss der Geschichte meist noch hinzu und jubelte vor Freude. Elsa bekam immer mehr den Eindruck, dass er alles verstanden hatte und sich die Details merken konnte.

Toskana – 20. Oktober 2005 – Sarahs letzter Tag
    72
    Anfang Oktober war Edi so weit, dass er Elsa gar nicht mehr ausreden ließ, sondern die gesamte Geschichte mit seinen knappen, einfältigen Sprüchen herunterspulte.
    Die Zeit war gekommen.
    In weiser Voraussicht hatte Elsa bereits im Sommer mit Anna Pläne für einen kurzen Wellnessurlaub im Herbst geschmiedet. Und obwohl sie es hasste, sich zusammen mit anderen Menschen in einem Bad aufzuhalten, buchte sie Anfang Oktober für sich und Anna vom 20. bis zum 26. Oktober ein billiges Doppelzimmer in Semproniano. Von dort aus wollten sie täglich zur nahe gelegenen Saturnia-Therme fahren, um in den heißen Quellen zu baden und sich durch Massagen verwöhnen zu lassen.
    Am Donnerstagmorgen, dem 20. Oktober fuhr Elsa ein letztes Mal nach Montefiera.
    »Es ist soweit«, sagte sie zu Edi. »Der Himmel ist klar, und wir haben fast Vollmond. Heute Nacht gehst du los. Aber warte bis vier Uhr morgens. Dann schläft Mama ganz fest.«
    Das einzige Risiko war, dass Sarah in dieser Nacht gar nicht im Haus sein würde. Aber Elsa wusste, dass sie mittwochs und donnerstags meist im Casa della Strega und dienstags und freitags bei Antonio in Siena war. Das Wochenende
reservierte sie für Romano. Natürlich konnte es auch sein, dass Antonio bei ihr übernachtete, aber dies kam nur äußerst selten vor. Antonio schlief nicht gern im Haus im Wald. Er brauchte abends ein Essen im Restaurant, einen Absacker in einer Bar und zu Hause seinen überladenen Plüsch und Pomp wie andere die Luft zum Atmen.
    »Heute Nacht – wird’s gemacht«, sang Edi und hopste vor Vergnügen.
    Elsa stellte ihm einen kleinen Wecker und legte ihn unter Edis Kopfkissen. »Wenn der Wecker klingelt, stehst du auf und gehst los. Hast du das verstanden?«
    Edi nickte. »Klingeling – dann beginn«, sagte er stolz.
    Elsa küsste ihn auf die Stirn. »Richtig, mein Spatz. Also dann, mach’s gut. Kann ich mich auf dich verlassen?«
    »Morgenrot – Mama tot«, meinte er zur Bestätigung.
    Elsa schob ihm noch einen Karamellbonbon in den Mund und ging aus dem Zimmer.

73
    »Ich würde dich gern begleiten«, sagte Sarah zu Elsa, als diese ins Auto stieg. »Es muss traumhaft sein, sich mal ein paar Tage so richtig verwöhnen zu lassen. Und wir hätten viel Zeit, um im Liegestuhl zu liegen und

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