Hexenkind
stundenlang wach und dachte daran, was vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, im Casa della Strega geschah. Monatelang hatte sie auf diese Nacht hingearbeitet, und je später es wurde, desto nervöser wurde sie.
Um vier Uhr früh machte sie Anna wach.
»Anna, bitte, ich habe mich schon übergeben und so rasende
Kopfschmerzen, dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll. Bitte, rufe die Rezeption an, ob sie irgendwelche Tabletten oder Zäpfchen oder Gottweißwas haben, was mir helfen kann.«
Sie lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen und drückte beide Handflächen gegen ihre Schläfen.
Anna zog sich sofort ihren Morgenmantel über und ging hinunter zur Rezeption. Die Signora, die Nachtdienst hatte, versprach eine Nachtapotheke anzurufen und ein Schmerzmittel zu organisieren.
Eine halbe Stunde später kam die Signora eigenhändig nach oben und brachte Elsa Tabletten. Wunderbar. Genauso hatte sie es geplant. Bewegungslos und vollkommen apathisch versuchte sie den gespielten Schmerz zu ertragen und schluckte zwei Tabletten. Die Signora wünschte gute Besserung und zog sich wieder an die Rezeption zurück.
Elsa war sich sicher, dass sie sich an diese nächtliche Eskapade jederzeit erinnern würde.
Mittlerweile war es kurz vor fünf. Elsa überlegte, ob jetzt vielleicht schon alles vorbei war, und dabei spürte sie eine gewisse Erregung. Sie wusste nicht, ob dies Angst war oder Erleichterung oder die übermäßige Spannung, bis sie erfahren würde, was in dieser Nacht wirklich geschehen war.
Ganz bewusst hatte sie Edi nicht eingetrichtert, was er nach der Tat mit dem Messer und seiner blutbespritzten Kleidung tun sollte. Es war ihr egal, denn sie hatte keinerlei Interesse daran, dass der Mörder nicht gefunden wurde. Weder sie noch Romano konnten ihr Leben lang auf Edi aufpassen und ihm seine gesunde Suppe kochen.
Bis jetzt war alles nach Plan gelaufen. Elsa war stolz auf
sich. Für sie gab es nun nichts mehr zu tun. Sie murmelte ein Dankgebet und schlief endlich entspannt und vollkommen zufrieden ein.
Um halb neun wachte Elsa auf, weil Anna vor dem sperrangelweit geöffneten Fenster stand und ihre Gymnastikübungen machte. Verdammt, dachte sie. Es hat immer noch niemand angerufen. Sie kontrollierte ihr Handy. Alles in Ordnung. Es war eingeschaltet, der Empfang war gut, und auch der Akku war noch fast voll. Entweder hatte man die Leiche noch nicht gefunden, oder Edi hatte seinen Auftrag vergessen. Vielleicht hatte er verschlafen, weil der Wecker nicht geklingelt hatte. Alles war möglich. Elsa zitterte vor Nervosität, als sie aufstand.
»Ich geh duschen«, sagte sie zu Anna. »Mein Handy liegt auf dem Tisch. Bitte, geh ran, wenn es klingelt.«
Anna nickte und faltete ihre Hände hinter dem Rücken, was Elsa bewundernswert fand. Bei ihr fehlten für diese Übung mindestens zwanzig Zentimeter, bis sich auch nur die Fingerspitzen hätten berühren können.
Unter der Dusche betete sie um einen Anruf – doch das Handy schwieg.
Sie frühstückten um halb zehn. Elsa trank vier Cappuccini, bekam aber keinen Bissen hinunter.
»Du musst unbedingt was essen«, sagte Anna, »sonst wird dir nachher schlecht, wenn wir im Schlamm liegen.«
»Ich kann nicht«, stöhnte Elsa. »Vielleicht hängt das ja noch mit meinen Kopfschmerzen in der Nacht zusammen. Ich hab zwar keine mehr, aber auch überhaupt keinen Appetit.«
Um halb elf hatten sie den Termin im Fango. Elsa achtete
darauf, dass ihr Handy immer in erreichbarer Nähe war. Es ist doch nicht zu glauben, dachte sie, und ihr Herz klopfte wie wild, zumindest Romano müsste sich doch allmählich Sorgen machen, wenn sie nicht nach Hause kommt.
Es war elf Uhr dreizehn, als Elsas Handy endlich klingelte. Obwohl sie in jeder Sekunde damit gerechnet und darauf gewartet hatte, zuckte sie doch zusammen. Sie lag unter einem Berg von Fango, aber ihre Hände waren frei, sodass sie nach dem Telefon angeln konnte, das neben der Badewanne auf einem kleinen Hocker lag.
»Pronto«, meldete sie sich. »Ach du bist’s, Nonna. Was gibt’s?« – Elsa hielt den Atem an. Anna, die in der benachbarten Wanne lag, sah irritiert zu ihr hinüber. »Nein!«, presste Elsa hervor. »Das ist unmöglich. Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar! Weiß man denn, wer das war?« – »Nein …« Sie schloss die Augen und presste ihre Lippen zusammen, als müsse sie sich beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen. »Ja, natürlich, ich komme.«
»Was ist los?«, fragte Anna.
»Meine
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