Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
Gottheit – Romano hatte keine Ahnung.
    Die vier Untersuchungshäftlinge waren auf neun Quadratmetern zusammengepfercht und mussten für die Notdurft eine Toilette im Raum benutzen, während die anderen zusahen und dumme Sprüche klopften. Nur Moscha hielt die Klappe, ihm fehlten schlicht die Vokabeln. Diese Toilette war für Romano das Schlimmste an der Gefangenschaft, denn das winzige Zellenfenster unter dem Dach war zwar zu öffnen aber viel zu klein, um einen Raum wie diesen zu belüften. Die Gefangenen ließen es den ganzen Tag offen, aber das bisschen frische Luft reichte für vier schwitzende
Männer, die nur einmal in der Woche gemeinschaftlich duschen durften, bei Weitem nicht aus.
    Vor zwei Tagen hatte Romano völlig unerwartet Siro getroffen. Sie waren in der Grundschule zwei Jahre in dieselbe Klasse gegangen und hatten kurzzeitig auch mal nebeneinander gesessen. Siro war Kalfaktor, hatte sich durch gute Führung in der Hierarchie der Strafgefangenen hochgedient und arbeitete als »Mädchen für alles«. Er verteilte das Essen, räumte die Gemeinschaftsräume auf, wusch in der Küche ab, brachte die Post und nahm die Sonderwünsche der Häftlinge auf.
    Es war Romano ungeheuer peinlich, ihn hier, unter diesen Umständen, wiederzutreffen.
    »Ich hab gehört, du hast deine Frau umgebracht?«, sagte Siro und grinste. »Is ja ganz schön heftig.«
    »Ich hab sie nicht umgebracht«, meinte Romano kleinlaut und wusste selbst, wie unglaubwürdig das klang.
    »Sicher«, erwiderte Siro. »Alles klar. Ich hab die Bank, die ich ausgeraubt hab, auch nicht überfallen.« Er lachte laut. »So reagieren alle am Anfang. Aber das gibt sich.«
    Romano sagte nichts dazu. Es hatte keinen Sinn, sich zu verteidigen, aber es nagte an seiner Seele.
    Immerhin schaffte es Siro, Romano Papier und einen Kugelschreiber zu besorgen. So konnte er sich Notizen machen oder seine Verzweiflung zu Papier bringen, während die anderen vor sich hin beteten, fluchten oder wie Massimo Selbstgespräche führten.
    Durch seine Schreiberei machte sich Romano jedoch zum Gespött der anderen.
    »Guck mal, der Professor dichtet wieder!«, tönte Sandro und riss Romano das Blatt Papier unter der Nase weg.
Dann las er laut mit näselnder Fistelstimme: »Es ist eine Qual, dies alles ertragen zu müssen, obwohl man unschuldig ist. Wenn jemand unter Sarahs Tod leidet, dann doch wohl ich und Du natürlich, meine kleine Elsa …«
    Sandro lachte sich kaputt, und die anderen lachten mit. Moscha lachte auch, obwohl er kein Wort verstanden hatte. Romano versuchte, Sandro das Blatt zu entreißen, aber Sandro war schneller und größer. Er hielt das Blatt hoch, und obwohl Romano hochsprang – was albern aussah -, kam er nicht dran. In ihm kochte die Wut, und er trat dem in der Mitte der Zelle herumtänzelnden Sandro, der das Blatt Papier wie ein Fahne über seinem Kopf hin und her schwenkte, mit aller Kraft in den Unterleib. Sandro stieß einen fürchterlichen Schmerzensschrei aus und brach zusammen.
    Daraufhin schlug Massimo Romano dermaßen hart ins Gesicht, dass die Haut über dem Jochbein riss und Blut aus der Platzwunde quoll. Romano war von der Wucht des Schlages einen Moment überrascht, zögerte kurz und handelte sich den nächsten Schwinger ein, der sein rechtes Auge traf.
    Unterdessen rappelte sich Sandro wieder auf und zog Romano ein Bein weg. Romano stürzte zu Boden und krachte mit dem Hinterkopf gegen Massimos Bett. Moscha kreischte vor Entsetzen, obwohl ihm, der oben auf einem der Hochbetten saß, bis jetzt noch gar nichts passiert war.
    Und dann prügelten Sandro und Massimo auf Romano ein, bis dieser blutüberströmt auf dem Zellenfußboden lag, sich nicht mehr bewegte und keinen Laut von sich gab.
    Sandro zerriss den Brief, der der Stein des Anstoßes gewesen
war, und ließ die Schnipsel in die Toilette flattern. Dann beugte er sich zu Romano hinunter und horchte an seinem Brustkorb.
    »Keine Sorge, das Schwein lebt noch«, meinte er lapidar, und damit war der Fall für ihn erledigt.
    Romano kam erst eine Stunde später auf die Krankenstation, als das Abendessen gebracht und Romano auf der Erde liegend gefunden wurde.
    »Er ist schrecklich unglücklich gestürzt, der Arme«, erklärte Sandro mitleidig lächelnd. »Wir wollten gerade Hilfe holen.«
    Die Wärter fragten nicht weiter nach. Es interessierte einfach niemanden.
     
    Zwei Tage später – Romano war zurück in der Zelle – kam Teresa zu Besuch. Sie schrie vor Schreck auf, als sie

Weitere Kostenlose Bücher