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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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emotionslos hin. »Toll, wie du den Tisch abgewischt hast«, sagte Sarah beispielsweise, und Edi kicherte vor sich hin. Aber auch wenn Teresa ihn anschrie, weil er den gesamten Küchenfußboden mit Marmelade eingeschmiert hatte, kicherte er. Nur wenn man
ihn in den Arm nahm, schmiegte er sich an wie eine kleine schnurrende Katze.
    Teresa schmuste nicht mit ihm, dazu fehle ihr die Zeit, meinte sie, sie könne nicht stundenlang im Garten sitzen und Edi kraulen, schließlich habe sie noch eine kleine »Nebenbeschäftigung«. Sie fütterte lieber und empfand es als persönliche Befriedigung und Bestätigung, wenn Edi alles, aber auch alles bis zum letzten Krümel in sich hineinstopfen ließ, dabei wohlig schmatzte und sie zum Schluss mit einem breiten Lächeln seiner dicken Wangen belohnte.
    Enzo hörte nicht auf, sich Vorwürfe zu machen. »Warum haben wir bloß an diesem Tag Gianluca geholfen? An Edis Geburtstag! Hier im Haus war so viel zu tun, und wir haben Gianluca geholfen! Porcamiseria, was für ein Schwachsinn! Wie sind wir bloß auf die Idee gekommen, Romano? Sag es mir, verdammt noch mal! Wenn wir hier gewesen wären, wäre nichts passiert! Ich hätte mit ihm gespielt, und er wäre noch gesund und ein glückliches Kind! Herrgott noch mal, warum hast du uns verlassen?«
    Anschließend schlug er mit der Faust auf den Tisch, dass jedes Mal die Kerze aus dem Ständer fiel.
    »Hör auf zu fluchen!«, brüllte Teresa aus der Küche, »oder willst du, dass das Unglück in diesem Haus nie ein Ende nimmt?«
     
    Als Edi älter wurde, begann er zu gehorchen. Bedingungslos. Was man ihm sagte, tat er. Offensichtlich war er nicht in der Lage, darüber nachzudenken, ob das, was er tat, richtig oder falsch war. Er saß still in einer Ecke, sah jeden mit großen, erwartungsvollen Augen an und wartete auf einfache Befehle. Wenn Sarah sagte: »Stell den Teller in den
Schrank«, dann stellte er ihn in den Schrank. Sagte Elsa: »Wirf den Teller in den Mülleimer«, warf er ihn in den Mülleimer. Er hätte ihn auch an die Wand geworfen, wenn sie es verlangt hätte. Wenn die Aufgabe zu kompliziert war, erledigte er nur einen Teil davon. Bat ihn Romano: »Hol mir das Brot aus der Küche und mach die Tür zu«, dann holte er das Brot. Dass er auch die Tür schließen sollte, hatte er längst vergessen.
     
    An einem verregneten Tag wälzte sich Edi im feuchten Schlamm direkt neben dem Teich. Er suhlte sich im Dreck wie ein kleines Ferkel und quiekte vor Vergnügen. Als Teresa ihn zum Mittagessen rief und Edi in der Küche erschien, schrie sie vor Entsetzen auf und scheuchte ihn vor die Tür. »Kinder, die so dreckig sind, kommen mir nicht ins Haus!«, keifte sie, »und sie kriegen auch nichts zu essen!«
    Vollkommen eingeschüchtert stand Edi auf dem Hof. Schließlich zog er sich nackend aus und stopfte seine Sachen in eine alte Tonne, die zum Verbrennen benutzt wurde. Dann tapste er zurück in sein Zimmer und zog sich seinen Schlafanzug an. Teresa war zufrieden und häufte ihm anschließend beim Essen zur Belohnung eine riesige Portion Pasta auf seinen Teller. Edi strahlte vor Stolz.
     
    Früher hatte Elsa oft auf der kleinen Steinmauer unter dem Feigenbaum gesessen, in die Luft geguckt und sich Märchen ausgedacht. Kam Sarah zufällig vorbei, bemerkte sie meist: »Wenn du dich langweilst, dann lies doch was«, und ließ Elsa in Ruhe. Jetzt sagte sie ständig: »Häng hier nicht so rum. Kümmere dich lieber um deinen armen kranken Bruder!« Und da Elsa mit ihren Schularbeiten immer in Rekordzeit
fertig war, weil sie sich alles merken konnte, was sie nur ein einziges Mal kurz überflog, musste sie sich jeden Nachmittag mit Edi beschäftigen, was sie als Strafe und schreiende Ungerechtigkeit empfand, da sie nichts verbrochen hatte. Sie war nur klüger als alle anderen. Das war alles.
    Stumpfsinnig übte sie mit ihm einzelne Worte, die sie ihm durch ständige monotone Wiederholungen einzuhämmern versuchte. Wenn er das, was sie von ihm wollte, einfach nicht begriff, kniff sie ihn in seine dicken Oberarme oder schlug ihn mit der Fliegenklatsche, bis er weinte. Aber als er endlich zum ersten Mal »Auto« gesagt hatte, sprang sie wie verrückt im Garten herum, sodass Sarah, die irritiert aus dem Fenster sah, im ersten Moment dachte, eine Wespe hätte sie gestochen.
    Aber Edi lachte und liebte sie alle. Seine strenge Mutter, die nur wenig Geduld mit ihm hatte, seine Oma, die ihn fütterte, seinen Opa, der ihm ständig etwas zu erklären

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