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Hexenkuss

Hexenkuss

Titel: Hexenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Debbie Viguié , Nancy Holder
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worden, nach den Sternen ausgerichtet. Das Erstaunliche war, dass der Altar im Lauf der Zeit schon Hunderte Male umgezogen und bewegt worden war, aber dennoch den Sternenhimmel über Seattle mit unheimlicher Genauigkeit abbildete.
    Ganz oben auf dem Altar thronte eine Onyxstatue des Gehörnten Gottes, als führte sie den Vorsitz über all die finsteren Taten, die hier in seinem Namen begangen wurden. Er hatte den Kopf einer Ziege mit zwei großen Hörnern, die sich neben den halbmondförmigen Augen, mit Rubinen besetzt, in die Höhe schraubten. Unter dem zotteligen Ziegenbart verbreiterte sich der Hals zum gespreizten Nackenschild einer Kobra. Der Torso war der eines Jaguars, und die Vorderbeine und Pranken gehörten zu irgendeinem namenlosen Raubtier mit Klauen, die halb so lang waren wie der ganze Körper. Hinterbeine und Schwanz glichen jenen eines Krokodils.
    Dies war das Abbild des gotteslästerlichen Fürsten des Deveraux-Covens, auf dem ihr gesamter magischer Einfluss beruhte. Allein der Anblick der Statue ließ Jer frösteln. In ihrer Tradition war der Gehörnte Gott ein reales Wesen, das man nicht verärgern durfte - niemals.
    In einem Holzkäfig flatterten vier ängstliche Falken. Sie waren als Opfer für heute Nacht gedacht, das wusste er. Er holte tief Luft und hoffte, dass nur die vier Vögel für den Gott vorgesehen waren. Noch grausamere Taten wollte er nicht mit ansehen, und er hatte geschworen, die barbarischen Absichten seiner Familie zu vereiteln, falls es dazu käme, dass ein Mensch geopfert werden sollte. Er musste wissen, was sie ohne ihn in der Kammer taten.
    Jer praktizierte die uralte Kunst des Weitsehens. Den Blick auf seinen Vater und Bruder aus der Vogelperspektive verdankte er dem uralten Zauberstein aus dem Nahen Osten, den er heute an einem Stand auf dem Pike's Fish Market gekauft hatte. Der Fischmarkt war eine beliebte Touristenattraktion, wo auch Souvenirs und ungewöhnliche Ziergegenstände angeboten wurden. Die kleine, grauhaarige Frau in Birkenstock-Sandalen, die Jer den Stein verkauft hatte, hatte ihn als interessanten Schmuckstein für eine Kette präsentiert. Sie führte einen dieser esoterischen Hippie-Nostalgie-Stände und hatte nichts davon geahnt, dass sie große magische Macht in der Hand hielt, als sie den Stein für Jer in ein Papiertütchen steckte.
    Eine sanfte Brise ließ den Saum seines Mantels flattern. Die Bäume rauschten, und die Lichter dort unten funkelten. Jer wurde allmählich unruhig - alle Objekte, mit denen seine Familie bisher in der Kammer hantiert hatte, waren ganz normale Bestandteile jedes Schwarzen Rituals. Offenbar hatten sie nicht vor, heute Nacht größeres Unheil anzurichten.
    Vielleicht sehe ich mal nach, was Kari treibt, dachte er.
    Und was er dann sah, drehte ihm den Magen um.
    »Nein«, stieß er hervor. »Tut das nicht.«
    Er war so schockiert, dass er den Blick abwandte und tief durchatmete. Seine Hände begannen derart heftig zu zittern, dass er den Stein fast hätte fallen lassen, was eine Katastrophe gewesen wäre. Der Stein wäre nicht nur zerborsten, sondern hätte auch seinem Vater und Bruder verraten, dass er sie beobachtete.
    Michael Deveraux zog mit großer Geste ein weißes Leintuch zurück und präsentierte dem Gehörnten Gott einen frischen Leichnam. Im Leben war sie eine hübsche junge Frau gewesen. Sie war wohl aus einem Leichenhaus gestohlen worden, denn ihre bläulich weiße Haut wies darauf hin, dass sie eine Weile in einer Kühlkammer gelegen hatte.
    Sie wollten also einen Todesfluch aussprechen. Heute Nacht. Jetzt gleich.
    Wer ist es? Wen wollt ihr ermorden?
    Plötzlich blickte sein Vater auf und runzelte die Stirn. Er wedelte mit der Hand.
    Der Stein in Jers Hand wurde dunkel.
    Wie betäubt und mit leerem Blick stand Jer auf der Klippe. Die Lichter dort unten waren eine Illusion. Was er gesehen hatte, war die einzige schreckliche Wirklichkeit, die er kannte.
    Mein Vater hat gespürt, dass ihn jemand beobachtet, erkannte er. Weiß er, dass ich es war?
    Der Stein, aus dem alle Hitze gewichen war, lag leblos auf seiner Handfläche. Er sprach zu ihm, flüsterte ihm ermunternde, bestätigende, liebende Worte zu. Doch der Stein war tot. Sein Vater hatte ihm mit einer bloßen Geste die Essenz geraubt, wie jemand, der eine Fliege erschlägt.
    Die Sterne spähten auf ihn herab, nichts weiter als herzlose Augen, die ungerührt die Torheiten der Menschen beobachteten. Sein Leben lang war Jer eingetrichtert worden, dass kein

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