Hexennacht
darnach, dich
hineinzuziehn in die Abgründ des Ertzfeindes. Bedenke, daß
du für Arzale ein Opffer bereithen must, am besten eine
menschliche Seel.
Arved schüttelte den Kopf. Was ihn stutzig machte, war die
Erwähnung des Weinstocks. Es war jedoch so unglaubhaft, so
ungeheuerlich, dass etwas wie in dem Grimorium Nigrum Beschriebenes geschehen sein sollte, dass Arved versuchte, den
wirren Worten des alten Buches keine weitere Bedeutung zu schenken.
Er stellte das Buch in seinen Mahagoni-Sekretär und ging nach
draußen.
Im Restaurant Teerdisch in der Maximinstraße aß
er einen Spießbraten mit Kroketten und Gemüse und
fühlte sich danach ein wenig besser. Ihm fehlte einfach das
Frühstück. Er vermisste die morgendlichen Brötchen,
die Marmelade, das Ei, die Wurst und die anderen guten Dinge, aber er
war zu bequem, um sich morgens auf den Weg zu machen und alles
für ein vernünftiges Frühstück einzukaufen. Ein
Gutes schien es zu haben: Seine Hose wurde weiter.
Nach dem Essen ging er in Richtung Innenstadt. Etwas zog ihn zum
Dom, in den Kreuzgang, zu den Bronzeengeln. Auf dem Weg dorthin, etwa
in Höhe des Dreikönigenhauses, des einzigen erhaltenen
gotischen Wohnhauses in Trier, sah er plötzlich Magdalena
Meisen.
Sie stand mitten in der Fußgängerzone und war von sechs
Eulen umgeben, die kreisförmig um sie herum saßen.
Magdalena erkannte Arved eindeutig. Als sie ihn sah, riss sie die
Augen auf. Ihr Mund formte sich zu einem O, doch kein Laut drang
daraus hervor. Eine der Eulen hüpfte mit grotesken Bewegungen
auf sie zu und flatterte an ihr hoch. Mit dem kräftigen Schnabel
hieb sie Magdalena in den Bauch. Die junge Frau krümmte sich vor
Schmerzen. Die Eule hüpfte zurück in den Kreis, die
nächste war an der Reihe. Wieder zuckte Magdalena in Qualen
zusammen. Arved lief auf sie zu – und war schon durch sie
hindurchgeeilt. Er holte tief Luft. Ihm war schwindlig. Er schwankte
und hielt sich an einem Bücherstand fest. Eine holländische
Touristenfamilie schaute ihn an und parlierte lauthals über
Trunkenbolde und Schmutzfinken, wenn er sie richtig verstand. Es war
ihm gleichgültig. Er öffnete den obersten Knopf seines
Hemdes und lockerte den Knoten der dunkelroten Krawatte. Und rang
noch immer nach Luft.
Als er an der Stelle vorbeigelaufen war, wo er Magdalena gesehen
hatte, war ein unbeschreibliches Gefühl durch ihn geströmt
– ein Gefühl vollkommener Verzweiflung, unendlicher Pein,
äußerster Hoffnungslosigkeit. Es war, als sei er durch
eine Seele in der Hölle geschritten.
Über ihm krachte es. Er zuckte zusammen. Schaute hoch.
Schwärze hatte sich über die Stadt gelegt. Ein Blitz machte
sie mehr als taghell, danach herrschte wieder Dunkelheit.
Hagelkörner gingen nieder, neue Blitze spalteten den Himmel,
Donner rumpelte. Arved suchte im Innern des Buchladens
Unterschlupf.
Er atmete auf. Draußen flohen Touristen und Einheimische vor
dem Hagel und nach wenigen Augenblicken war die Simeonstraße
menschenleer. Ein seltsamer Anblick. Noch immer erhellten die Blitze
unregelmäßig die Straße, doch dazwischen herrschte
eine Finsternis wie unter der Erde. Kein Geschäft war
beleuchtet, keine Straßenlaterne brannte.
Der Buchladen war ebenfalls leer. Nicht einmal ein Verkäufer
oder Kassierer war zu sehen. Arved hielt wieder den Atem an. Ein
Nachhall des schrecklichen Gefühls tastete an ihm herum,
vermochte ihn aber nicht mehr so zu durchdringen wie zuvor.
Dann sah er, dass das gesamte Personal des Buchladens damit
beschäftigt war, die Bücherstände vor dem
Geschäft mit dicken Plastikplanen vor dem Unwetter zu
schützen. Arved wich in den hintersten Winkel des Ladens
zurück. Sein Blick flog über die ausgestellten Titel. Reich werden mit Methode. Yoga für Fortgeschrittene. Der
zweite Weltkrieg in Bildern. Mein Hund und ich.
Die geheime Macht des Jenseits.
Es durchfuhr Arved wie ein elektrischer Schlag – als habe ihn
einer der Blitze durchstoßen, die dort draußen immer noch
tobten. Er griff mit zitternden Fingern nach dem Buch, riss die Folie
davon ab und blätterte es durch. Es beschrieb auf
reißerische Art das Leben nach dem Tod aufgrund angeblich
wahrer Erfahrungen von Personen, die ins Leben zurückgekehrt
waren. Natürlich fanden sich auch Höllenbeschreibungen
darunter:
Frauke W., 43, die nach einem Autounfall für tot
erklärt worden war, berichtete nach ihrer Rückkehr ins
Leben von grauenhaften Torturen in der Hölle, in die sie
geworfen worden war. Die Unglücklichen
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