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Hexensabbat

Hexensabbat

Titel: Hexensabbat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegrit Arens
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Anna auch diesmal freundlich: »Hallo, Rüben!«
    Der Junge antwortete nicht, er suckelte an etwas, gewöhnlich lutschte er an seinem Daumen, gelegentlich trank er auch noch aus dem Fläschchen. Diesmal hob er aber kurz den Kopf und musterte Anna, so als ob sie plötzlich von Interesse für ihn sei. Anna erkannte jetzt, woran er gesuckelt hatte. Es war eine von diesen mit Brause gefüllten Lakritzschnüren. »Ich habe auch einen Lutscher mit Gesicht, willst du sehen?« Der Junge grinste sie an, es war kein Kindergrinsen, eher eine Fratze, fand Anna.
    Sie verspürte so etwas wie Panik, was absurd war, bestimmt gab es diese Lakritzschnüre und Riesenlutscher an jedem Kiosk. Sie hastete über die Straße in ihr Haus, hin zu Tills Schreibtisch, sie riß den Unterschrank mit den tiefen Schüben auf: Es fehlten fünf Lakritzschnüre und fünf Riesenlutscher. Fotze! dachte sie. Miese kleine Fotze. Die Frau von gegenüber, alleinerziehend, tat ihr nicht mehr leid. Annas frisch pedikürter Fuß zuckte, sie hätte eben hineintreten sollen in dieses über sie gebeugte Gesicht. Es war kein Beweis, natürlich nicht, trotzdem fügte sich manches zusammen in ihrem Kopf.

In Sehnsucht, Till!
     
    »Woher hast du die Lutscher und die Lakritzschnüre?« Anna hatte gewartet, bis die Kundin drüben hinter der Tür mit dem Schild »Medizinische Fußpflege« verschwunden war. Der Junge hatte schon eine Weile im Vorgarten gespielt, Anna hatte ihn beobachtet und gewartet, bis sie sicher sein konnte, daß seine Mutter nicht herauskommen und sich einmischen würde. Eine Fußpflege dauerte durchschnittlich zwanzig Minuten, sie wollte allein mit dem Kind reden, sie hatte jetzt Zeit genug.
    »Hä?« Der Junge sah hoch.
    »Du hast mich schon verstanden. Ich will wissen, woher du neulich den Lutscher und die Lakritzschnur hattest?«
    Der Junge zeigte mit dem Daumen rückwärts über seine Schulter auf das Haus der Liebolds. Er sagte nichts, er grinste nur wieder stupide. Aber er wußte Bescheid, darauf hätte Anna schwören mögen.
    »Von meinem Mann?«
    Der Junge nickte. Er wirkte nicht verlegen, eher fröhlich. Er sah Anna sogar ins Gesicht, was ungewöhnlich für ihn war.
    »Warum?« fragte Anna. »Warum hat er dir die Süßigkeiten gegeben?«
    Der Junge zuckte die Schultern.
    Anna packte ihn. Sie rüttelte an der Schulter des Jungen. »Sag’s endlich!« fuhr sie ihn an.
    »Weiß nicht«, sagte der Junge, und mit einem listigen Ausdruck in den Augen fuhr er fort: »Sie schließen immer ab.«
    »Danke.« Es fiel Anna schwer, dem Kind auch noch »Danke!« zu sagen, sie wandte sich rasch von ihm ab und wollte die Straße überqueren.
    »He!«
    Anna drehte sich um. »Ja?«
    Der Junge hielt ihr die Hand hin, die blanke Handfläche nach oben. Er grinste. »Verpiß dich«, zischte Anna. So war kein Fünfjähriger, der Sohn von dieser Frau war ein Monster.
     
    Drüben im Haus sah Anna auf die Uhr. Es war noch viel Zeit, bis Till heimkommen würde. Sie ging durch alle Räume, sie sah sich um, so als wären es plötzlich fremde Räume. Vor seinem Schreibtisch machte sie halt. Sie riß die Schubladen auf, diesmal gab sie sich keine Mühe, Spuren zu vermeiden. Sie durchblätterte die sauberen Hefter. »Girokonto«, las sie auf einem, es gingen hohe Summen auf dem Konto ein, Till verdiente gut. Ganz hinten war die Durchschrift eines Dauerauftrags abgeheftet, der Name Ramona Koller sprang ihr ins Auge, der Betrag lautete auf fünfhundert Mark monatlich, und unter »Verwendungszweck« stand in Tills Handschrift: »Für Ramona! In Sehnsucht, Till!«
    Er hatte den Auftrag in ihrer gemeinsamen Zweigstelle erteilt, Frau Arens hatte abgezeichnet, sie war Sachbearbeiterin und immer sehr zuvorkommend. Es trieb Anna die Röte ins Gesicht. Sie riß den Karton mit den Lutschern und die gebündelten Lakritzschnüre aus ihrem Versteck und stopfte sie in die Metallröhre, die Till als Papierkorb benutzte. Den Ordner mit den abgehefteten Auszügen ließ sie offen auf der Schreibtischplatte liegen. Sie stürmte die Treppe hinab, griff sich ihren Anorak und lief weiter in die Garage, stieg auf ihr altes Hollandrad und fuhr los, einfach drauflos. Der Wind fuhr ihr ins Gesicht und ließ die offenen Jackenzipfel flattern, sie spürte die Kälte nicht, sie fuhr immer weiter, bis sie irgendwann völlig außer Atem anhalten mußte. Sie hatte das Sperrgebiet der belgischen Kaserne erreicht, hier kam sie nicht weiter. Sie sah auf die Uhr. Till würde gleich zu Hause sein. Fast war

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