Hexenseelen - Roman
wusste, dass sie ihm hilflos ausgeliefert war.
Während des Gefechts am Blumenladen hatte sie sich im Hintergrund gehalten. Sie hatte sich geweigert, hinzusehen, hatte ihre Beteiligung an dem Angriff mit Nachdruck verleugnet, bis sie sich selbst fast überzeugt hatte, überhaupt nicht da zu sein. Natürlich hatte sie vorher gewusst, wie schwer es ihr fallen würde, Conrad gegenüberzutreten. Damals im Keller hatte es sie eine enorme Überwindung gekostet, und das erneute Wiedersehen hatte sie gewissermaßen unvorbereitet getroffen. Als Stella ihn kämpfen sah, allein gegen die Massen, waren die Erinnerungen in ihr erwacht, und sie hatte sich beinahe auf seine Seite gestellt. Sie hatte sich zusammenreißen
müssen, um der Schlacht, die schnell zu Ende ging, weiter zuzusehen. Dann hatte sie ihre Pistole gezogen, auf Conrad gezielt und abgedrückt. Mehrfach. Bis das Magazin leergeschossen war.
Sie hatte ihn töten wollen, es ihm leichter machen, ihm das ersparen wollen, was auf ihn zukommen sollte, wenn er noch atmend ihren Leuten in die Hände geriet. Normalerweise kämpfte sie mit ihrem Kettengürtel, mit dem Messer oder mit Shuriken. Bei der Verwendung von Schusswaffen stellte sie sich stets dämlich an, linkisch wie ein Kleinkind, das ein Spielzeug bekam, das nicht für sein geistiges Alter bestimmt war. Außerdem war er schnell, verdammt schnell. Ihn zu treffen schien beinahe unmöglich. Letztendlich hatte sie Conrad doch noch getroffen. Sie sah, wie er zu Boden ging, aber sie hatte ihn nicht getötet. Sein Fluch heilte die Wunden, erweckte die Gier, die ihn am Leben halten musste. Wie ein Tier fiel er über zwei oder drei Jugendliche her, saugte die Energie aus ihren Leibern, bis er von den anderen endgültig überwältigt wurde.
Sie war noch dabei, als Conrad in den Bunker gebracht wurde. Sie war dabei, als Timo und Nick ihn gefesselt und angefangen hatten, auf ihn einzuschlagen. Ohne Fragen zu stellen, ohne zu verlangen, dass sein Clan sich ergab. Nur aus einem einzigen Grund: weil sie es konnten, weil es ihm unmöglich war, sich zu wehren. Und als es stundenlang so weitergegangen war, als sein Wille nicht brechen wollte und er weiterhin sein Âjnâ blockierte, da war es Stella gewesen, die der Folter nicht länger
standhielt. Die in den Stadtpark geflüchtet war, um auf den Steinstufen des Planetariums zu verharren, sich im Schoß des Riesen geborgen zu fühlen. Inzwischen waren ein Tag und eine Nacht vergangen, und sie rührte sich noch immer nicht von ihrem Platz, versteckte sich vor der Realität und vor dem, was noch kommen sollte.
Erst nach einer Weile bemerkte Stella, dass sie seit einiger Zeit nicht mehr allein vor dem Planetarium verweilte. Immer wieder hörte sie ein rhythmisches metallisches Geräusch, wandte den Kopf und bemerkte Cerim, der an eine der Säulen gelehnt saß und sein Messer auf-und zuschnappen ließ. Sie ignorierte ihn. Und so saßen sie eine weitere Stunde da, ohne einander zu beachten. Aber menschliche Geduld konnte sich nicht mit der der Nachzehrer messen. So war es Cerim, der das Schweigen brach: »Hattest du was mit dem Typen?«
»Was?«
»Mit dem Gefangenen.«
»Wie kommst du jetzt auf diesen Scheiß?«
»Ich habe dich beobachtet. Dich bewundert. Für deine Stärke. Für die Härte, mit der du den Feinden des Messias gegenübertrittst. Ich meine … für ein Mädchen bist du … wow.«
Stella lächelte grimmig. Als Mädchen wurde sie schon lange nicht mehr bezeichnet. Für eine Mädchen leiche galten nun mal ganz andere Gesetze.
Er fuhr fort: »Aber bei diesem Typen bist du nicht mehr du selbst. Was ist an ihm so Besonderes, dass du vor ihm kuschst?«
Stella schnaubte, bündelte ihre Energie und gelangte mit einem Sprung an Cerims Seite. Sie packte ihn an der Kehle und schlug seinen Kopf gegen die Säule.
»Ich kusche vor niemandem!«, zischte sie, um mit ihrem Zorn die Wahrheit zu verbergen.
Er krächzte. »Nein. Außer vor diesem Conrad.«
Sie drückte noch mehr zu, presste ihre Lippen auf die seinen und spürte seine Energie pulsieren, die Stärke, das Unerschütterliche, den Glauben an das eigene Tun - all das, was ihr im Moment fehlte. Sie könnte sich an ihm nähren, einen Funken von ihm in sich aufnehmen und hoffen, er würde das Feuer in ihrer Seele entflammen. Zusammen mit Cerim rutschte Stella zu Boden. Sie küsste ihn, sog an seinen Lippen, bis sie sein Blut schmeckte, aber sie trank nicht von ihm. Ächzend ließ sie von Cerim ab und fiel auf den
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