Hexenseelen - Roman
Rücken, um gleich darauf sein Gewicht auf sich zu spüren, den feuchten, warmen Atem, der ihre Wangen streifte. Jetzt war er es, der seinen Mund auf den ihren presste, genauso ungestüm, fordernd und gierig wie sie wenige Sekunden zuvor. Stella hätte ihn ohne Mühe abschütteln können, aber das Mädchen in ihr erwachte und verlangte nach seinem Saft, der einen ganz anderen Hunger stillen sollte. Sie vernahm seine Aura, die aufglühte, als wäre er ein Nachzehrer, der sich an seinem Opfer stärkte. Was er tat, schien ihm Kraft einzuflößen, seinem Selbstbewusstsein, aufgrund der Macht, die er über sie auszuüben glaubte.
Genauso plötzlich, wie er über sie hergefallen war, rollte er sich von ihr herunter. »Und?«
Stella blinzelte überrascht, fühlte sich auf eine kränkende Weise abgewiesen. Natürlich zählte sie nicht zu den Schönheiten, diesen Püppchen, die nur Schminke und Mode im Kopf hatten. Ihr Körper, im Teenageralter gefangen, würde nicht mehr zurechtwachsen, sondern bis in alle Ewigkeit schlaksig und knochig bleiben. Damals im Heim wurde sie oft als Bohnenstange gehänselt - zumindest diese Zeiten hatte sie längst hinter sich gelassen. Doch in diesem Augenblick, neben Cerim, der sie mit einem - wie es ihr vorkam - spöttischen Blick betrachtete, fühlte sie sich tatsächlich wieder wie die hässliche Bohnenstange, die von den anderen gejagt wurde und Zuflucht in einer der Kabinen des Mädchenklos suchte.
»Was - und?«, blaffte sie ihn an, wollte aufstehen, doch er zog sie am Handgelenk wieder zu sich.
»Dieser Kerl, den wir geschnappt haben. Hast du was mit ihm?«
»Nein«, keifte Stella zurück.
Natürlich hatte sie nie was mit Conrad gehabt. Er war eher eine Vaterfigur für sie, auf seine stille, zurückhaltende Art. Er hatte sie in den Clan aufgenommen, als sie nach ihrer Auferstehung ruhelos durch die Straßen gestreift war und wahllos Menschen getötet hatte. Er hatte sie aufgenommen, ihr Halt gegeben, ohne etwas von ihr zu verlangen, so selbstverständlich, als hätte sie schon immer dazugehört, als wäre der Clan schon immer ihre Familie gewesen.
Nein, er verlangte nie etwas von ihr, dafür sie von sich selbst - umso mehr. Sie wollte ihm gefallen. Sie hatte
alles getan, um seine Anerkennung zu verdienen. Aber sie war nie gut genug. Als der Messias ihre Fähigkeiten zu würdigen gelobte, beteuerte sie sich, eine neue Familie gefunden zu haben, in der sie endlich den Platz einnehmen konnte, der ihr zustand. Sie wollte diesmal wirklich alles richtig machen, sie gab alles dafür! Doch sie kam sich stets wie ein Fremdkörper in den Reihen des Erlösers vor.
Was für eine verquere Welt! Diejenigen, bei denen sie sich wohlgefühlt hatte, hatte sie zu ihren Feinden erklärt. Und diente welchen, vor denen sie am liebsten weglaufen würde.
Wie seltsam, dass ihr diese Gedanken nie bei den Versammlungen kamen, sondern erst, wenn sie allein irgendwo hockte und grübelte, wo es nichts zu grübeln gab. Denn der Messias kämpfte für eine gute Sache, für die Zukunft ihrer Rasse, für das Leben. Was stimmte also nicht mit ihr, wenn in ihr so urplötzlich Zweifel aufkamen? Hoffentlich würde das keiner merken und Bericht erstatten, denn sie wusste zu gut, was mit den Haderern und den Leugnern des Erlösers geschah.
»Nein«, wiederholte Stella, um in die Realität zurückzufinden. »Ich habe nichts mit ihm.«
Sie wollte ihren Arm befreien, doch Cerim rückte ein Stück näher an sie heran.
»Guuuuuut«, blies er durch die gespitzten Lippen. »Ich will nämlich mein Mädchen mit keinem anderen teilen.«
Stella hätte fast aufgelacht. Aber nur fast. Weil ihr die Vorstellung, von jemandem begehrt zu werden, schmeichelte.
»Hast du Fieber?«, blaffte sie ihn dennoch an. »Aus welchem Grund sollte ich dein Mädchen sein?«
»Durch deinen Fluch bist du auserwählt, von Geburt an, keine Frage. Aber ich - ich habe bewiesen, dass ich würdig bin, zu euch zu gehören. Der Messias hat mich erwählt, als einen der Ersten, die einen Dämon bekommen, wenn die Zeit dafür reif ist.« Seine Augen glänzten, seine Stimme leierte ein wenig, so als wäre er betrunken, doch es war kein Alkohol, der ihn berauschte.
Stella fragte sich, wo der Junge geblieben war, der neben ihr auf dem Sitz des Vans gehockt hatte, den sie mit einem Schlagring bearbeitet und zum Lachen gezwungen hatte.
Sie erhob sich, schüttelte den Kopf und warf ihre afrikanischen Zöpfe nach hinten. »Damit ich dein Mädchen werde, musst du
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