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Hexenseelen - Roman

Hexenseelen - Roman

Titel: Hexenseelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Krouk
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mehr Mühe geben, und dann würde es einfach passieren. Ganz natürlich. Fast von allein. Das Kribbeln auf der Haut, die Versteifung ihres Körpers, das Schweben des Geistes, bis …
    Ylva stöhnte. Gib schon zu , dachte sie höhnisch, du hast nicht die geringste Ahnung, wie du die Verschmelzung herbeiführen musst . Es passiert einfach, das stimmt, aber nicht jetzt. Nicht, wenn du es brauchst.
    Bäuchlings fiel sie auf das Himmelbett. Die seidene Tagesdecke fühlte sich kalt und abweisend an. Wollte sie kurz zuvor noch wüten und toben, so wünschte sie sich jetzt bloß, sie könnte sich in einem Loch verkriechen und heulen, bis nichts mehr von ihr übrig blieb.
    »Ich schaffe es nicht.« Ylva schluchzte. Ihre Hand verkrallte sich in der Tagesdecke. Jeder Herzschlag erinnerte sie daran, wie die Sekunden davonliefen. Sekunden, die Conrad in den Händen seiner Feinde verbrachte,
die sich viel zu schnell zu Minuten und Stunden aufaddierten.
    »Setz dich nicht zu sehr unter Druck«, erwiderte Roland. »Du bist nicht die Einzige, die alles tut, um Conrad zu retten. Maria lässt uns gerade wissen, dass sie eine vielversprechende Spur verfolgt. Wir werden ihn finden.«
    Ylva nickte bloß und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Irgendwann musste sie tatsächlich eingeschlummert sein, denn sie sah Roland nicht und hörte auch nicht mehr das Surren des Jo-Jos. Dunkelheit füllte sie nach und nach aus, wiegte sie sanft wie ein Meer hin und her, rauschte, seufzte, sang.
    »Du musst dich entspannen«, sagte der Dämon mit der rauen Stimme eines Mannes, der so lange nicht gesprochen hatte, dass er fast vergessen hatte, wie das überhaupt ging. Unendlich traurig sprach er, als würde er sich an etwas erinnern, was ihm genommen worden war.
    »Fängst du auch damit an?«, antwortete Ylva. Unendlich müde. Unendlich schwach. Sie versank in dem Meer der Dunkelheit. Ob sie auf dem Grund nichts mehr spüren musste? Nur daliegen und warten, bis ihr Körper zerfiel und die Strömung die Gedanken davontragen würde?
    »Sei eins mit deinem Seelentier. Fühle das, was es fühlt, rieche es, schmecke es.«
    »Fühlen? Aber gerade das will ich nicht. Kann ich nicht. Es zerstört mich.«
    »Ja, das tut es. Jeden von uns, Stück für Stück. Du wirst bezahlen, aber nicht jetzt. Jetzt musst du fühlen, wenn du deinen Totenküsser finden willst.«

    »Warum hilfst du mir?«
    »Weil du mich … mich erinnern lässt. Und nun: Tu, was ich dir sage!«
    Das Meer schwappte und trieb sie vorwärts. Aber es war nicht länger das Meer, sondern das Gras. Das hohe, weiche Gras, durch das sie auf allen vieren rannte, weite Sprünge machte und vergnügt jaulte.
    Jaulte?
    Warum um alles in der Welt jaulte sie? Sie war doch eine Ratte. Sie hielt an, hockte sich hin und begann, sich zu putzen, sich mit den Vorderpfoten das Maul zu reiben und an ihrem eigenen Fell zu knabbern.
    Ihre Ohren zuckten. Finsternis umgab sie. Ylva vernahm Geräusche - Stimmen! Gefahr. Ihr kleines Herzchen flimmerte, brachte beinahe ihren ganzen Leib zum Vibrieren. Etwas riss sie aus ihrer Hülle, sie schwebte und bangte, bis sie sich ihres pelzigen Körpers wieder bewusst wurde. Gefahr, immer noch herrschte Gefahr! Sie hatte ein Keuchen gehört. Oder vielleicht ein Stöhnen? Ein Geräusch eben, das ein Schrei hätte sein müssen und es nicht mehr sein konnte, geschluckt von dicken Betonwänden. Entkräftet und matt.
    Stille. Atmen. Schritte.
    Eine Metalltür schlug auf. Jemand trat aus einem der Räume. Ein Mann. Nein. Zwei Männer. Der eine stank nach einem Menschen, lebendig und verschwitzt. Ylva roch sogar, dass er vor kurzem gepinkelt und sich danach nicht die Hände gewaschen hatte. Der andere gehörte eindeutig zu den Totenküssern, denn er besaß keinen eigenen
Duft, an ihm klebten bloß die Gerüche der Umgebung. Doch beide - der Mensch und der Untote - rochen auch nach etwas anderem. Nach Conrad. Nicht nach Blumen und Erde, die sie einst so gern an ihm wahrgenommen hatte. Nach Conrads Blut. Nach diesem widerlichen, fauligen Todesgeruch, der ihr Fell sich sträuben ließ und sie unweigerlich an das Monster erinnerte, dem es bestimmt war, sie umzubringen.
    »Wir müssen es langsam beenden«, sagte der Untote. »Willst du es tun?«
    »Ich finde, diese Ehre ist Stella vorbehalten«, sagte der Mensch.
    »Sie ist nicht da«, sagte der Untote.
    »Ich werde sie herbringen«, erwiderte der Mensch.
    Sie sagten noch einiges, dies und das, doch Ylva hörte nicht länger zu. Sie rannte davon.

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