Hexenseelen - Roman
der Messias und seine Schergen keine Zeit gehabt, sich gegen den geplanten Angriff zu wappnen. Abgesehen davon haben sie …« Er stockte und schluckte das, was ihm auf der Zunge lag, hinunter. Aber Conrad verstand ihn ohne jeden Laut.
Ylva. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ylva. Er musste sie da rausholen, und er hätte alles riskiert, stünde nur sein Schicksal auf dem Spiel. Aber er war blind und somit absolut nutzlos. Nun musste er seine Leute ans Messer liefern. Seine Hände verkrampften sich um die Pistole. Wie praktisch. Andere an die Front zu schicken und selbst in Sicherheit auszuharren. Der Inbegriff vom »Anführer des Jahres«.
»Conrad!«, forderte Maria erneut und tippte vor Ungeduld mit einem Fuß auf das Parkett. »Ohne dein Einverständnis werden uns die Leute nicht folgen. Du musst endlich eine Entscheidung treffen.«
Conrad senkte den Kopf. Er hatte Angst. Eine so entsetzliche Angst, dass sie ihn fast zerriss. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal etwas Ähnliches
verspürt hatte. Vielleicht, weil er es noch nie empfunden hatte. Jahrzehntelang gab es für ihn nichts zu verlieren. Jetzt ging es mit einem Mal um alles: seine Liebe, seine Freunde und nebenbei auch um die Welt.
Unwillkürlich lauschte er in sich hinein. Etwas - die Vorahnung? - schien inzwischen jeden Winkel seiner Seele zu verdunkeln.
Sollte er Ylva in den Klauen des Messias lassen?
Oder seine Leute in Gefahr, vielleicht sogar in den Tod schicken?
»Also gut«, sagte er endlich. Die Finsternis lauerte nicht mehr bloß um ihn herum, sondern wurde zu einem Teil seiner Seele, als hätte die Schwärze ihn verschluckt und ihm alle Sinne geraubt. »Wir starten den Angriff wie besprochen. Ich halte von hier aus den Kontakt zu euch und koordiniere die Zusammenarbeit der Teams.«
»Endlich!« Geräuschvoll blies Maria die Luft durch die Lippen. »Wunderbar. Dann rufe ich unsere Leute zusammen.«
Conrad hörte ihre Schritte auf dem Parkett, dann auf dem Teppich und schließlich draußen auf den Fliesen des Erdgeschosses. Beinahe glaubte er, sie hätte es kaum erwarten können, den Raum zu verlassen. Das merkte er öfter in der letzten Zeit. Seine Gesellschaft schien die meisten ratlos und beklemmt zu stimmen. Viele verspürten Erleichterung, aus einem Gespräch mit ihm entlassen zu werden.
Adrián räusperte sich, was Conrad zusammenzucken
ließ. In seinen Gedanken versunken, hatte er nicht darauf geachtet, ob der Nachzehrer Maria gefolgt war oder nicht.
»Ich verstehe deine Sorgen«, fing Adrián unsicher an.
»Ach ja?« Conrad zweifelte, ob irgendjemand nachempfinden konnte, was in ihm vorging. Sogar damals, nach seinem Aufwachen ohne Sehkraft, hatte er sich nicht so elend gefühlt. Wenn seinen Leuten bei diesem Angriff etwas passierte, dann würde er sich das niemals verzeihen. Wenn er Ylva verlor - nein, daran durfte er nicht einmal denken.
»Du warst für mich da, als ich es am meisten gebraucht habe«, sagte Adrián. »Du hast mir geholfen, Evelyn zu retten, obwohl wir damals nicht gerade die besten Freunde waren. Nun bin ich für die Möglichkeit dankbar, mich zu revanchieren. Ich bringe dir Ylva zurück, du hast mein Wort.«
Conrad nickte, stützte seinen Kopf in die Hände und vergrub die Finger im Haar. »Pass auf dich auf.«
»Mache ich. Wir sind gut vorbereitet, es wird alles ablaufen wie geplant.«
Ja, das sollte es. Wäre da nicht diese Vorahnung, die seinen Schädel marterte. Wenn er bloß etwas mehr Zeit gehabt hätte, seine neuen Fähigkeiten auszubauen! Wenn er bloß nicht so nutzlos dahocken müsste! Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten und andere für sich kämpfen zu lassen.
Innerhalb einer Stunde hatten sich alle in der Eingangshalle versammelt. Maria und Adrián standen auf
der Galerie, Conrad hielt sich zurück. Die Lady übernahm die Ansprache, und wie immer gelang es ihr, die Versammelten zu begeistern, ihnen Mut und Zuversicht zu geben, die Conrad mühelos spüren konnte. Sie war eine begnadete Rednerin. Dutzende Herzen brannten nur darauf, sich endlich in den Kampf zu stürzen und den Messias zu vernichten. Wenn Conrad ihre Emotionen vernahm, fand er nichts als Tatendrang, geschürt von tiefster Wut.
Wut … Erneut rührte sich das Unheil verheißende Gefühl in ihm, diesmal so stark, dass es ihm Übelkeit verursachte. Sie waren viel zu wütend, viel zu … geblendet.
Halte sie auf! Du schickst sie in den Untergang!
Doch er biss sich auf die Lippe, bis es
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