Hexenseelen - Roman
Schmerz, der die Frau marterte, wie ihren eigenen.
Sie hatte versagt, ihre Gebieterin im Stich gelassen und deren Seelentier dem Feuer überlassen.
Und alles wegen dieses Totenküssers! Hass brodelte in ihr auf. Sie sprang auf, doch Conrad riss sie am Arm hinunter, womit er ihr fast die Schulter ausgekugelt hätte.
»Bringen Sie die Frauen in Sicherheit«, befahl er Roland und warf ihm die Schlüssel des Transporters zu. Der Bund schlitterte über den Boden und blieb neben dem Schuh des Teenagers liegen. »Ich muss versuchen, unsere Angreifer zu beschäftigen.«
Roland linste über das Heck des Wagens hinweg auf die Straße, an der sich immer mehr von den Gegnern sammelten. »Es sind zu viele.«
»Ich habe auch nicht gesagt, dass ich sie aufhalten kann. Es kommt nur auf ein paar Minuten an, damit Sie einen Vorsprung haben.«
Roland schnaubte. Sein molliges Gesicht wirkte schlaff wie ein Ballon, dem unmerklich die Luft entwich. »Also Selbstmord uns zuliebe? Hören Sie …«
»Nein, Sie hören mir zu. Ich übergebe Ihnen die Verantwortung für die Frauen, ganz besonders für Ylva. Es ist von höchster Bedeutung, dass sie nicht in feindliche Hände gerät. Haben Sie mich verstanden?«
»Vorsicht, hinter Ihnen!«
Conrad fuhr herum, gerade in dem Moment, als zwei Halbstarke sich auf ihn stürzen wollten. Er wich der Faust mit dem Schlagring aus, duckte sich unter einem Messer hindurch und schleuderte einen der Angreifer von sich, bis ins Schaufenster des Blumenladens. Die
Jacke des Jungen fing Feuer. Er warf sich zu Boden und wälzte sich umher, um die Flammen zu ersticken. Der andere Junge, der ihm zu Hilfe eilen wollte, schrie auf und begann wild um sich zu schlagen. Aber nicht, um Conrad zu treffen, sondern … um etwas abzuschütteln. Eine Ratte. Sie war ihm ins Gesicht gesprungen und hatte sich in seine Nase verbissen. Mit einer raschen Bewegung schlug Conrad den Typen k.o.
»Na los! Sie haben nicht viel Zeit«, spornte er Roland an. »Und machen Sie sich keine Sorgen um mich, so leicht bin ich nicht zu kriegen. Außerdem wird Adrián jede Minute hier sein, er war schon unterwegs, um seine Großnichte abzuholen. Die anderen aus dem Clan habe ich ebenfalls informiert, vielleicht ist jemand in der Nähe. Also fort mit Ihnen!«
Vier weitere Gestalten rückten an, andere eilten bereits zur Verstärkung herbei. Ylva sprang auf die Beine, bereit, ihre Königin bis zuletzt zu verteidigen. Während sie Schläge parierte und auch selbst austeilte, hörte sie durch das Keuchen und Fluchen ihrer Feinde das verstörte Winseln ihrer Gebieterin: »Smaragda! Smaragda, Smaragda …«
Unaufhörlich rief Linnea ihre Schlange, starrte blind ins Feuer, das im Laden tobte. Ylva musste sich immer wieder zwischen sie und die Angreifer werfen, um ihre Königin, die sich der Gefahr nicht bewusst zu sein schien, zu beschützen. Die Gesichter der Feinde wechselten, fügten sich zu einer unendlichen Reihe blutiger und verzerrter Fratzen. Ylva schlug und trat um sich und bekam
auch selbst einiges ab, schmeckte ihr eigenes Blut, hinkte und spürte bei jeder Bewegung ein schmerzhaftes Stechen in der linken Seite.
In einer unerwarteten Verschnaufpause lief sie zu ihrer Königin. Ylva wollte die Frau aufheben und fortschleppen, aus dem Kampf, weg von den Totenküssern, als ein Zittern Linneas Körper durchlief. Jeder Muskel versteifte sich. Mit aufgerissenen Augen und halb geöffnetem Mund, aus dem Speichel tropfte und ihr die Wange herablief, verharrte die Schlangenfrau. Nur ihr Röcheln deutete darauf hin, dass in diesem Leib noch Leben steckte.
»Meine Königin!« Ylva hockte sich vor ihr hin und strich ihr zärtlich über den Kopf. Dann verdrehte Linnea die Augen, und ihr Körper erschlaffte.
»Ich brauche Hilfe!«, schrie Ylva auf. »Meine Gebieterin … sie …«
Roland tauchte neben ihr auf. Er hievte die Frau auf die Arme und hetzte davon. Ylva sah sich um, überrascht, noch nicht angegriffen worden zu sein. Es war Conrad, der für die Ruhepause sorgte. Er drängte die Angreifer zurück, zwang sie, sich nur auf ihn zu konzentrieren. Denn es bedurfte nur einer Sekunde der Unachtsamkeit, und schon lag ein weiterer Körper mit verrenktem Hals zu seinen Füßen.
Ylva gab sich einen Ruck und lief Roland hinterher, folgte ihrer Königin, obwohl sie den Drang verspürte zu bleiben. Ihre Beine trugen sie davon, während widersprüchliche Gefühle ihre Seele zu zerreißen drohten. Einerseits musste sie fort, zu ihrer Gebieterin.
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