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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schauderte es am ganzen Körper. Ihm war übel. Er sah das Zimmer wieder im staubigen Morgenlicht. Tante Vivian hatte vor Jahren dort drüben gesessen, seine Mutter hier. Aber jetzt war jetzt. Rowan anrufen…
    »Noch nicht«, sagte Lightner. »Wenn Sie die Akte gelesen haben.«
    »Lightner, Sie haben Angst vor Rowan. Da ist etwas mit Rowan selbst, es gibt irgendeinen Grund, weshalb Sie mich vor ihr schützen wollen…« Er sah die Staubflöckchen, die ihn umtanzten. Wie konnte etwas so Substantielles der ganzen Szene diesen Hauch von Unwirklichkeit verleihen? Er dachte daran, wie er Rowans Hand im Auto berührt hatte. Warnung. Und er dachte an Rowan, wie sie danach in seinen Armen gelegen hatte.
    »Sie wissen, was es ist«, sagte Lightner. »Rowan hat es Ihnen erzählt.«
    »Ach, das ist doch verrückt. Das bildet sie sich ein.«
    »Nein, das tut sie nicht. Schauen Sie mich an. Sie wissen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. Fordern Sie mich nicht auf, in Ihren Gedanken danach zu suchen. Sie wissen es. Sie haben daran gedacht, als Sie das Wort ›Hexen‹ aussprachen.«
    »Habe ich nicht. Man kann niemanden töten, bloß indem man seinen Tod herbeiwünscht.«
    »Michael, ich bitte Sie um weniger als vierundzwanzig Stunden. Ich setze mein Vertrauen in Sie, und ich bitte Sie, unsere Methoden zu respektieren und mir diese Zeit zu schenken.«
    »Ich akzeptiere das nicht!« sagte Michael. »Rowan ist keine Hexe. Das ist verrückt. Rowan ist Ärztin, und Rowan hat mir das Leben gerettet.«
    Was für ein Gedanke, daß es ihr Haus sein sollte, das wunderschöne Haus, das Haus, das er liebte, seit er ein kleiner Junge war. Das Gefühl des Abends erwachte in ihm, wie es gestern gewesen war, mit dem Himmel, der violett durch die Äste loderte, während die Vögel schrien wie im tiefen Wald.
    All die Jahre hatte er gewußt, daß der Mann nicht real war. Sein Leben lang hatte er es gewußt. In der Kirche hatte er es gewußt…
    »Michael, dieser Mann wartet auf Rowan«, sagte Lightner.
    »Er wartet auf Rowan? Aber warum hat er sich dann mir gezeigt?«
    »Hören Sie, mein Freund.« Der Engländer legte Michael die Hand auf den Arm und drückte ihn herzlich. »Ich habe nicht die Absicht, Sie zu beunruhigen oder Ihre Faszination auszubeuten. Aber dieses Wesen ist seit Generationen mit der Familie Mayfair verbunden. Es kann töten. Aber das kann Dr. Mayfair auch. Ja, es ist leicht möglich, daß sie die erste ihrer Art ist, die ganz allein töten kann – ohne die Hilfe dieser Kreatur. Und sie kommen zueinander, diese Kreatur und Rowan. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sie sich begegnen werden. Jetzt ziehen Sie sich bitte an und kommen Sie mit. Wenn Sie sich bereit finden, unser Vermittler zu sein und Rowan die Akte über die Mayfair-Hexen für uns zu übergeben, wird damit unseren höchsten Zielen gedient sein.«
    Michael schwieg; er versuchte, das alles zu verdauen. Er betrachtete Lightner unruhig, aber er sah dabei unzählige andere Dinge.
    Er wollte sich Rechenschaft abgeben über seine Gefühle für den »Mann« von gestern abend. Aber er konnte es nicht. Er war ihm immer auf unbestimmte Weise schön erschienen, als Verkörperung der Eleganz, eine bleiche, seelenvolle Gestalt beinahe, die in ihrem tiefen Gartenversteck eine Art heitere Gelassenheit besaß, die Michael selbst gern besessen hätte. Doch gestern abend, hinter dem Zaun, hatte der Mann versucht, ihm Angst einzujagen. Oder?
    Wenn er nur in diesem Augenblick seine Handschuhe losgewesen wäre und den Mann hätte anfassen können! »Man will, daß ich einschreite«, sagte er. »Ich soll es ganz sicher. Und vielleicht soll ich auch dieses Talent meiner Hände benutzen. Rowan meinte…«
    »Ja?«
    »Sie hat gefragt, weshalb ich dächte, daß diese Kraft meiner Hände mit der Sache nichts zu tun haben sollte, weshalb ich darauf beharrte, daß sie etwas Separates sei…« Wieder dachte er daran, wie es sein würde, den Mann zu berühren. »Vielleicht hängt doch alles zusammen; vielleicht ist diese Kraft nicht nur ein kleiner Fluch, der mir angehängt wurde, um mich verrückt zu machen und aus der Bahn zu werfen.«
    »Dachten Sie das?«
    Michael nickte. »Sah ja so aus. Es hat mich zum Beispiel daran gehindert, herzukommen. Ich habe mich zwei Monate lang in der Liberty Street verkrochen. Ich hätte Rowan viel früher finden können…« Er schaute auf seine Handschuhe. Wie er sie haßte! Sie machten seine Hände zu Prothesen.
    »Also gut«, sagte er schließlich. »Ich

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