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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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erzählen.
    Doch will ich die Dinge der Reihe nach angehen, so gut ich kann, und mich dabei wie stets – erfolglos – bemühen, mich auf jene Seiten dieses betrüblichen Abenteuers zu beschränken, die es wert sind, vermerkt zu werden.
    Erlaube mir als erstes zu sagen, daß ich diese Verbrennung nicht verhindern kann. Die in Frage stehende Dame gilt nämlich nicht nur als verstockte und mächtige Hexe, sondern man bezichtigt sie überdies, ihren Ehegemahl vergiftet zu haben, und das Zeugnis gegen sie ist über die Maßen bestürzend.
    Es ist die Mutter des Mannes, die aufgestanden ist und ihre Schwiegertochter des Verkehrs mit Satan und des Mordes beschuldigt hat; und die beiden kleinen Söhne der unglückseligen Comtesse haben in die Anklage ihrer Großmutter eingestimmt, derweil die einzige Tochter der angeblichen Hexe mit ihrem jungen Gemahl aus Martinique und ihrem Säugling bereits nach Westindien geflüchtet ist, um so dem Vorwurf der Hexerei gegen sich selbst zu entrinnen.
    Aber nichts von all dem ist so, wie es zu sein scheint. Und ich werde umfassend darlegen, was ich herausgefunden habe. Doch hab Geduld mit mir, denn ich werde bei den ersten Anfängen beginnen und dabei tief in nebelhafte Vergangenheit eindringen. Es gibt hier vieles, was für die Talamasca von Interesse ist, aber nur wenig, was die Talamasca zu bewirken hoffen kann. Ich leide Höllenqualen, derweil ich schreibe, denn ich kenne diese Dame. Ich kam her, weil ich argwöhnte, ich möchte sie kennen, obgleich ich hoffte und betete, es möge nicht so sein.
    Als ich dir zuletzt schrieb, verließ ich eben die deutschen Staaten, der furchtbaren Verfolgungen und meiner Ohnmacht müde geworden. Ich hatte zwei Massenverbrennungen in Trier miterlebt – ein ganz abscheuliches Leiden für die armen Seelen, das von den protestantischen Klerikern um so schlimmer gemacht wurde, welche hier ebenso wüten wie die katholischen und mit diesen völlig übereinstimmend behaupten, der Satan treibe sein Unwesen im Lande und erringe seine Triumphe durch die unglaublichsten Leutchen, Einfältige in manchen Fällen, meistens indessen bloß ehrliche Hausfrauen, Bäcker, Tischler, Bettler und dergleichen.
    Wie merkwürdig es ist, daß diese frommen Menschen den Teufel für so töricht halten, daß er danach trachte, allein die Armen und Machtlosen zu verderben – warum nicht zur Abwechslung einmal den König von Frankreich? -, und daß die Bevölkerung insgesamt sich dabei so schwach zeigt.
    Doch wir haben diese Fragen schon viele Male erörtert, du und ich.
    Es zog mich hierher – und nicht ins heimische Amsterdam, nach dem ich mich von ganzem Herzen sehne -, weil die Umstände dieses Prozesses weit und breit bekannt waren und höchst eigentümlich insofern sind, als hier eine große Comtesse beschuldigt wird, nicht etwa die Hebamme des Dorfes oder eine stammelnde Närrin, die sogleich jede nächstbeste arme Seele als Komplizen benennt, und so weiter und so fort.
    Aber ich habe viele derselben Elemente gefunden, die auch anderswo zu finden sind, insofern als hier der bekannte Inquisitor Pater Louvier gegenwärtig ist, der sich seit zehn Jahren damit brüstet, er habe schon Hunderte von Hexen verbrannt, und er werde Hexen finden, wenn hier welche zu finden seien. Gegenwärtig ist auch ein populäres Buch über Hexerei und Dämonologie von eben diesem Manne in ganz Frankreich weit verbreitet und wird mit äußerster Faszination gelesen von halbgebildeten Menschen, die hier über weitschweifigen Beschreibungen der Dämonen brüten, als wäre es die Heilige Schrift, wo es in Wahrheit nur ein dummer Dreck ist.
    Dies Buch hat die Stadt in seinen Bann geschlagen, und es wird niemanden in unserem Orden überraschen, daß es die alte Comtesse war, die es beigeschafft hat, die Anklägerin der Schwiegertochter höchst selbst, die auf der Kirchentreppe geradeheraus erklärt hat, wäre dieses ehrwürdige Buch nicht, so hätte sie nie erfahren, daß eine Hexe in ihrer Mitte lebte.
    Ich traf heute nachmittag um vier Uhr hier ein; ich kam durch die Berge und südwärts ins Tal hinunter, in der Tat eine langsame und beschwerliche Reise zu Pferde. Als ich in Sichtweite der Stadt gekommen war, die wie eine mächtige Festung vor mir aufragte – was sie ja einst auch war -, entledigte ich mich schnurstracks aller Dokumente, die hätten beweisen können, daß ich nicht das bin, als was ich mich ausgegeben habe: ein katholischer Priester und Erforscher der Hexenpest, der durch die

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