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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Und wann wird der Buße genug getan sein? Glaube ja nicht, daß ich abschweife. Ich will mit all dem auf etwas hinaus, wie du bald sehen und verstehen wirst. Denn einer jungen Frau, die ich einst so innig geliebt wie nur irgend jemanden, bin ich hernach nochmals von Angesicht zu Angesicht begegnet, und lebhafter als ihr Zauber ist mir die Leere in ihrem Antlitz in Erinnerung geblieben, als ich sie nunmehr gewahrte, angekettet auf einem Karren auf einsamer Straße in Schottland, wenige Stunden, nach dem sie ihre eigene Mutter hatte brennen sehen.
    Wenn du dich überhaupt an sie erinnerst, wirst du die Wahrheit vielleicht schon erraten haben. Doch blättere jetzt nicht vor. Hab Geduld mit mir. Denn als ich vor dem Scheiterhaufen auf und ab ritt und dem blöden Gestammel zweier einheimischer Weinhändler lauschte, die damit prahlten, schon andere Verbrennungen gesehen zu haben, als sei das ein Grund, stolz zu sein, da kannte ich die ganze Geschichte der Comtesse noch nicht. Jetzt kenne ich sie.
    Endlich, es muß gegen fünf gewesen sein, begab ich mich zu dem feinsten Gasthaus der Stadt, dem ältesten zudem, das der Kirche gegenüber steht und mit allen Vorderfenstern auf das Portal von Saint-Michel und den Richtplatz hinausblickt, den ich eben beschrieben habe.
    Da die Stadt sich anläßlich des Ereignisses offenbar mit Gästen gefüllt hatte, erwartete ich, daß man mich fortschicken werde. Du kannst dir meine Überraschung vorstellen, als ich sah, daß die Bewohner der besten Kammer im vorderen Teil des Hauses soeben hinausgeworfen worden waren, da sich gezeigt hatte, daß sie ihren feinen Kleidern und Manieren zum Trotz keinen Pfennig Geld besaßen. Sogleich entrichtete ich das kleine Vermögen, das für diese »Prachtgemächer« verlangt wurde; ich bat um eine Anzahl Kerzen, damit ich spät abends noch schreiben könnte – wie ich es jetzt tue -, stieg die krumme kleine Stiege hinauf und sah, daß es eine erträgliche Unterkunft mit einer anständigen Strohmatratze war, nicht zu garstig, wenn man alles in Betracht zog, unter anderem die Tatsache, daß hier eben nicht Amsterdam ist.
    »Von hier aus könnt Ihr ausgezeichnet sehen«, vermerkte der Herbergswirt stolz, und ich fragte mich, wie oft er ein solches Spektakel schon gesehen haben mochte und was er sich dabei wohl dachte, doch da redete er schon weiter und sprach davon, wie schön die Comtesse Deborah sei, und betrübt schüttelte er den Kopf wie jedermann, wenn von ihr die Rede war und von dem, was bevorstand.
    »Deborah, sagst du? So heißt sie?«
    »Ja«, antwortete er. »Deborah de Montcleve, unsere schöne Comtesse – obschon sie ja keine Französin ist, wißt Ihr, und wenn sie nur eine etwas mächtigere Hexe gewesen wäre…« Er brach ab und senkte den Kopf.
    Ich sage dir, Stefan, in diesem Augenblick fühlte ich das Messer auf meiner Brust. Ich erriet, wer sie war, und ertrug es kaum, ihn zum Weiterreden zu drängen. Aber ich tat es. »Bitte fahre doch fort.«
    »Sie sagte, als sie ihren Gemahl sterben sah, hätte sie ihn nicht retten können; es hätte nicht in ihrer Macht gestanden…« Und wieder brach er mit traurigem Seufzen ab.
    Ich stellte mein Schreibpult auf, an dem ich jetzt sitze, räumte die Kerzen weg und begab mich nach unten in die gemeinschaftlichen Räume, wo ein kleines Feuer die klamme Dunkelheit in diesem Gemäuer vertrieb; etliche Philosophen der Stadt saßen davor, um sich zu wärmen oder um ihre berauschten Wänste zu dörren – was weiß ich: ich setzte mich an einen bequemen Tisch, bestellte mir Abendbrot und bemühte mich, die kuriose Obsession aus meinen Gedanken zu verbannen, die jedes behagliche Herdfeuer in mir erweckt: daß die Verurteilten auch diese wohlige Wärme spüren, bevor sie sich in Todesqual verwandelt und ihre Leiber verzehrt.
    »Bring mir deinen allerbesten Wein«, befahl ich. »Ich will ihn mit diesen braven Herren hier teilen – in der Hoffnung, daß sie mir von der Hexe erzählen werden, denn ich habe viel zu lernen.«
    Meine Einladung wurde sogleich angenommen, und ich aß inmitten eines Parlaments, das gleichzeitig zu sprechen anhob, so daß ich mir zu verschiedenen Zeiten jeweils einen ausersehen konnte, dem ich zuhören wollte, während ich mein Ohr vor den anderen verschloß.
    »Worauf gründet sich die Anklage?« fragte ich sogleich.
    Und im Chor begannen nun verschiedene Beschreibungen des Sachverhalts. Der Comte war durch den Wald geritten und nach einem Sturz vom Pferde taumelnd nach Hause

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