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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Lande zieht und überführte Hexen studiert, auf daß er sie in seiner eigenen Pfarrei hernach um so besser wird ausmerzen können.
    Ich legte alle meine verräterischen und belastenden Habseligkeiten in die Kassette und vergrub sie an einem sicheren Platz im Wald. Dann legte ich mein feinstes Pfaffengewand an, ein silbernes Kruzifix und anderes mehr, das mich als reichen Geistlichen auswies, und so ritt ich zum Tor hinauf, vorbei an den Türmen des Château de Montcleve, dem früheren Heim der unglücklichen Comtesse, die ich bis dahin nur als »Braut des Satans« oder »die Hexe von Montcleve« kannte.
    Unverzüglich begann ich die, denen ich begegnete, zu befragen: Warum man dort mitten auf dem Platz vor den Stufen der Kathedrale einen so großen Scheiterhaufen errichtet habe, und warum die Händler ihre Stände aufgebaut hätten, um Getränke und Kuchen zu verkaufen, wo doch kein Jahrmarkt weit und breit zu sehen sei? Und wozu die Zuschauerbänke nördlich der Kirche und daneben an den Mauern des Gefängnisses? Warum platzten die vier Gasthöfe der Stadt vor lauter Pferden und Kutschen schier aus den Nähten, und warum wimmelten die Menschen durcheinander, redeten und zeigten zu dem hohen Gitterfenster in der Gefängnismauer über den Zuschauerbänken hinauf und dann zum Scheiterhaufen hinüber?
    Ob es etwa mit dem Fest des Heiligen Michael zu tun habe, welches morgen stattfinde: St. Michaelis?
    Nicht einer von denen, die ich ansprach, zögerte, mich aufzuklären: Es habe nichts mit dem Heiligen zu tun, obgleich es seine Kathedrale sei, sondern sie hätten sein Fest auserkoren, um Gott und alle seine Engel und Heiligen um so mehr mit der Hinrichtung der schönen Comtesse zu erfreuen, die morgen früh verbrannt werden solle, ohne daß man ihr zuvor die Gunst erwiese, sie zu strangulieren, um ein Exempel zu statuieren für alle Hexen in der Umgebung, deren es viele gebe, auch wenn die Comtesse noch unter der unsagbarsten Folter keine einzige Komplizin angegeben habe – so groß sei die Macht des Teufels über sie -, aber die Inquisitoren würden sie gleichwohl alle entlarven.
    Und von diesen Personen, die mich besinnungslos geredet hätten, wenn ich es hätte geschehen lassen, erfuhr ich weiterhin, daß es kaum eine Familie in der Nachbarschaft dieser blühenden Gemeinde gebe, die nicht aus erster Hand die große Macht der Comtesse hätte bezeugen können, denn freimütig habe sie alle Kranken geheilt, ihnen Kräutertränklein gemischt und ihnen die Hand auf die siechen Gliedmaßen oder Leiber gelegt, und dafür haben sie sich nichts erbeten, außer daß man sie in sein Gebet einschließen möge.
    Stefan, man hätte meinen mögen, ich sei auf dem Weg zu einer Heiligsprechung, nicht zu einer Hexenverbrennung. Denn niemand, den ich in dieser ersten Stunde traf, da ich gemächlich durch die schmalen Straßen ritt, hierhin und dorthin, als hätte ich mich verirrt, und mit jedem Vorübergehenden auf ein paar Worte verweilte – niemand, sage ich, hatte ein grausames Wort gegen die Dame vor zubringen.
    Aber ohne jeden Zweifel waren diese einfachen Leute anscheinend desto erpichter auf ihren Tod als es eine gute und hochstehende Dame war, die vor ihren Augen den Flammen übergeben werden sollte – so, als mache ihre Schönheit und ihre Güte ihren Tod für sie zu einem besonders großartigen Spektakel. Ich sage dir, es erfüllte mein Herz mit solcher Furcht, ihre beredten Lobreden zu hören, zu vernehmen, wie behende sie von ihr zu berichten wußten, und das Glitzern zu sehen, das in ihre Augen trat, wenn sie von ihrem Tode sprachen, daß ich schließlich genug hatte und mich zu dem Scheiterhaufen begab, wo ich auf und ab ritt, um seine beträchtliche Größe in Augenschein zu nehmen.
    Ja, man braucht eine große Menge Holz und Kohle, um ein menschliches Wesen ganz und gar zu verbrennen. Ich sah es wie immer voller Grauen und fragte mich dabei, wieso ich mir diese Arbeit auserwählt habe, wo ich doch keine Stadt wie diese mit ihren kahlen Steinhäusern und ihrer alten, dreitürmigen Kathedrale je betreten kann, ohne in meinen Ohren das Gebrüll des Pöbels zu hören, das Knattern des Feuers, das Husten und Keuchen und endlich das Schreien der Sterbenden. Ganz gleich, wie oft ich diese abscheulichen Verbrennungen mit ansehe, ich weiß mich doch nicht unempfindlich dagegen zu machen. Was ist da in meiner Seele, das mich zwingt, dasselbe Grauen wieder und wieder zu suchen?
    Habe ich für ein Verbrechen zu büßen, Stefan?

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