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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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beängstigende telekinetische Begabung war es, die sie veranlaßte, sich eilig nach fremder Hilfe umzusehen. Ich konnte Gegenstände bewegen, indem ich mich einfach auf sie konzentrierte oder ihnen befahl, sich zu bewegen. Obgleich diese Fähigkeit nie besonders stark war, erwies sie sich für diejenigen, die eine Probe davon miterlebten, als äußerst beunruhigend.
    Meine besorgten Eltern befürchteten, diese Begabung könne mit anderen übersinnlichen Eigenschaften einhergehen, die sie auch tatsächlich gelegentlich hatten aufschimmern sehen. Man ging mit mir wegen meiner seltsamen Fähigkeiten zu mehreren Psychiatern, und einer von ihnen schlug schließlich vor: »Bringen Sie ihn zur Talamasca. Seine Fähigkeiten sind echt, und die sind die einzigen, die mit jemandem wie ihm etwas anfangen können.«
    Die Talamasca erörterte diese Frage mehr als bereitwillig mit meinen Eltern, und diese zeigten sich äußerst erleichtert. »Wenn Sie versuchen, dieses Talent in Ihrem Sohn zu ersticken«, sagte Evan Neville, »dann werden Sie nichts erreichen. Sie setzen damit höchstens sein Wohlbefinden aufs Spiel. Lassen Sie uns mit ihm arbeiten. Wir würden ihn lehren, seine übersinnlichen Fähigkeiten zu beherrschen und zu nutzen.« Widerstrebend willigten meine Eltern ein.
    Von da an verbrachte ich zunächst jeden Samstag im Mutterhaus außerhalb Londons, mit zehn dann das ganze Wochenende und den Sommer. Meine Eltern kamen oft zu Besuch, ja, mein Vater begann 1935 sogar, alte, zerbröckelnde lateinische Dokumente für die Talamasca zu übersetzen; er arbeitete bis zu seinem Tod im Jahr 1974 für den Orden und lebte zuletzt als Witwer im Mutterhaus. Meine Eltern liebten beide die Bibliothek der Allgemeinen Nachschlagewerke im Mutterhaus, und obgleich sie nie um die offizielle Mitgliedschaft im Orden einkamen, gehörten sie in einem sehr realen Sinne doch ihr Leben lang dazu. Sie erhoben keine Einwände, als sie sahen, wie ich immer mehr in den Orden involviert wurde; sie bestanden lediglich darauf, daß ich meine Ausbildung vollendete und mich von meiner »speziellen Begabung« nicht vorzeitig aus der »normalen Welt« hinauslocken ließ.
    Ich war nie das, was man ein starkes Medium nennen würde. Meine beschränkten gedankenleserischen Fähigkeiten leisten mir die besten Dienste in meiner Eigenschaft als Feldforscher für die Talamasca, vor allem in Situationen mit einem gewissen Risiko. Und mein telekinetisches Talent ist selten für irgendwelche praktischen Zwecke verwendbar.
    Mit achtzehn war ich dem Leben und den Zielen des Ordens treu ergeben. Nur schwer konnte ich mir eine Welt ohne die Talamasca vorstellen. Meine Interessen waren die Interessen des Ordens, und ich fügte mich makellos in den dort herrschenden Geist. Wo ich auch zur Schule ging, wohin ich auch – mit Eltern oder Schulfreunden – reiste, der Orden war meine wahre Heimat geworden.
    Als ich mein Studium in Oxford abgeschlossen hatte, wurde ich als Vollmitglied aufgenommen, aber eigentlich war ich schon lange vorher Mitglied gewesen. Die großen Hexenfamilien waren immer mein Lieblingsgebiet gewesen. Ich war gründlich belesen in der Geschichte der Hexenverfolgungen. Und Personen, auf die unsere spezielle Definition der Hexe paßte, übten eine große Faszination auf mich aus.
    Mein erster Feldforschungsauftrag bezog sich auf eine Hexenfamilie in Italien, und angeleitet wurde ich dabei von Elaine Barrett, die damals und noch lange Jahre danach die fähigste Hexenforscherin des Ordens war.
    Sie war es, die mich mit den Mayfair-Hexen bekannt machte; in einem beiläufigen Tischgespräch erzählte sie mir, was Petyr van Abel, Stuart Townsend und Arthur Langtry zugestoßen war, und sie ermunterte mich, in meiner Freizeit das Mayfair-Material zu lesen. In mancher Nacht des Sommers und des Winters 1945 schlief ich ein, während Mayfair-Papiere den Fußboden meines Schlafzimmers bedeckten. Schon 1946 machte ich die ersten Notizen für eine zusammenfassende Erzählung.
    Formell erhielt ich den Auftrag aber erst 1953: Schreibe die Erzählung, und wenn sie in akzeptabler Form vollendet ist, werden wir erwägen, dich nach New Orleans zu schicken, damit du die Bewohner des Hauses in der First Street mit eigenen Augen kennenlernst.
    Immer wieder sah ich mich daran erinnert, daß ich, was immer mein Bestreben sein mochte, nur mit größter Vorsicht würde vorgehen dürfen. Antha Mayfair war eines gewaltsamen Todes gestorben. Der Vater ihrer Tochter Deirdre ebenfalls.

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