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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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haben. Er findet, ich sei eine schreckliche Klatschtante. Aber fragen Sie ihn unbedingt nach dem Texaner. Man weiß nie, was er vielleicht sagt.«
    Als sie weg war, rief ich sofort Juliette Milton an.
    »Gehen Sie keinesfalls in die Nähe des Hauses«, befahl ich ihr. »Lassen Sie sich unter keinen Umständen persönlich mit Carlotta Mayfair ein. Und gehen Sie nie wieder mit Beatrice essen. Wir überstellen Ihnen einen ordentlichen Scheck. Sie ziehen sich von der Geschichte zurück.«
    »Aber was habe ich denn getan? Was habe ich gesagt? Beatrice ist ein unmögliches Waschweib. Sie erzählt allen Leuten diese unglaublichen Geschichten. Ich habe nichts wiedergegeben, was nicht allgemein bekannt ist.«
    »Sie haben erstklassig gearbeitet. Aber es drohen Gefahren. Eindeutige Gefahren. Tun Sie, was ich sage.«
    »Oh – sie hat Ihnen erzählt, daß Carlotta Leute ermordet. Aber das ist Unsinn. Carlotta ist eine alte Schachtel. Wenn man Beatrice glaubt, dann ist Carlotta nach New York gefahren und hat Deirdres Vater umgebracht, diesen Sean Lacy. Das ist doch blanker Unsinn!«
    Ich wiederholte meine Warnung oder meinen Befehl – was immer es nutzen würde.
    Am nächsten Tag fuhr ich hinaus nach Metairie, parkte mein Auto und spazierte zu Fuß durch die stillen Straßen rund um Cortland Mayfairs Haus. Abgesehen von den großen Eichen und dem samtweichen Grün des Rasens hatte die Gegend hier nichts von der Atmosphäre in New Orleans. Genauso gut hätte ich in einem reichen Vorort von Houston, Texas oder von Oklahoma City sein können. Sehr schön, sehr geruhsam, und auf den ersten Blick sehr sicher. Von Deirdre sah ich nichts. Hoffentlich war sie glücklich in dieser gesunden Umgebung.
    Inzwischen versuchte ich mit Cortland in Kontakt zu kommen, aber er erwiderte meine Anrufe nicht. Schließlich teilte seine Sekretärin mir mit, daß er nicht mit mir reden wolle; er habe gehört, daß ich mit seinen Verwandten gesprochen hätte, und er wünsche, daß ich die Familie in Ruhe ließe.
    In der folgenden Woche erfuhr ich von Juliette Milton, daß Deirdre soeben zur Texas Woman’s University nach Denton, Texas, gereist sei, wo Rhonda Mayfairs Ehemann Ellis Clement kleinen Klassen wohlerzogener Mädchen Englischunterricht erteilte. Carlotta war absolut dagegen gewesen; man hatte ohne ihre Erlaubnis verfahren müssen, und Carlotta sprach jetzt überhaupt nicht mehr mit Cortland.
    Es war nicht schwierig, herauszubekommen, daß Deirdre als – durch Hauslehrer ausgebildete – »Sonderstudentin« aufgenommen worden war. Sie hatte ein Einzelzimmer im Wohnheim der Erstsemester bekommen und den normalen Stundenplan belegt.
    Zwei Tage später war ich in Denton. Die Texas Woman’s University war eine hübsche kleine Schule, in welligem, grünem Hügelland gelegen, mit weinumrankten Ziegelbauten und sauber gepflegten Rasenflächen. Es war unfaßbar, daß es sich um ein staatliches Institut handeln sollte.
    Mit meinen sechsunddreißig Jahren, meinem vorzeitig ergrauten Haar und meiner Vorliebe für gutgeschneiderte Leinenanzüge war es kein Problem für mich, auf dem Campus umherzustreifen; wahrscheinlich hielt mich jeder, der Notiz von mir nahm, für ein Mitglied des Kollegiums. Lange saß ich auf Bänken und schrieb in mein Notizbuch. Ich durchstöberte die kleine öffentliche Bibliothek. Ich schlenderte durch die Hallen der alten Gebäude und tauschte Artigkeiten mit ein paar ältlichen Lehrerinnen und mit frisch aussehenden jungen Frauen in Blusen und Faltenröcken aus.
    Deirdre gewahrte ich ganz unerwartet am zweiten Tag nach meiner Ankunft in Denton. Sie kam aus dem Wohnheim, einem bescheidenen Haus im georgianischen Stil, und spazierte etwa eine Stunde lang auf dem Campus umher – eine reizende junge Frau mit langem, offenem schwarzen Haar, die müßig auf den kleinen, gewundenen Pfaden unter den alten Bäumen umherschlenderte. Sie trug die hier übliche Baumwollbluse und einen Faltenrock.
    Sie endlich zu sehen stürzte mich in große Ratlosigkeit. Während ich ihr in einigem Abstand folgte, litt ich eine ganz unverhoffte Pein bei dem, was ich tat. Sollte ich diese Frau in Ruhe lassen? Oder sollte ich ihr erzählen, was ich über ihre frühe Geschichte wußte? Mit welchem Recht war ich überhaupt hier?
    Stumm beobachtete ich, wie sie in ihr Wohnheim zurückging. Am nächsten Morgen folgte ich ihr zur ersten Unterrichtsstunde und nachher in eine große Cafeteria im Keller, wo sie allein an einem kleinen Tisch Kaffee trank und

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