Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
mißverstehen. Sie meint, indem Sie über das Böse sprechen, würden Sie es nähren. Indem Sie es studieren, würden Sie ihm Leben geben.« Ihre sanften blauen Augen flehten um mein Verständnis: Wie bemerkenswert gefaßt sie erschien, wie überraschend ruhig.
    Ich war erstaunt. Erstaunt darüber, daß Carlotta Mayfair wußte, wer wir waren, und daß sie so viel von unseren Zielen begriffen hatte. Dann fiel mir Stuart ein. Stuart mußte mit ihr darüber gesprochen haben. Das war der Beweis.
    »Es ist wie mit den Spiritualisten, Mr. Lightner«, fuhr Deirdre in der gleichen höflichen und verständnisvollen Weise fort. »Sie wollen mit den Geistern toter Vorfahren sprechen, aber allen ihre guten Absichten zum Trotz stärken sie nur Dämonen, von denen sie nichts verstehen…«
    »Ja, ich weiß, was Sie meinen, glauben Sie mir. Ich wollte Ihnen ja nur die Informationen geben. Und Sie sollten wissen, daß Sie, wenn Sie -«
    »Aber verstehen Sie nicht? Ich will nicht. Ich will die Vergangenheit hinter mir lassen.« Ihre Stimme wurde ein wenig brüchig. »Ich will nie wieder nach Hause.«
    »Also gut«, sagte ich. »Ich verstehe vollkommen. Aber wollen Sie etwas für mich tun? Prägen Sie sich meinen Namen ein. Nehmen Sie meine Karte. Lernen Sie die Telefonnummern darauf auswendig. Und rufen Sie mich, wenn Sie mich jemals brauchen.«
    Sie nahm die Karte, studierte sie eine Weile und steckte sie in ihre Tasche.
    Ich merkte, daß ich sie wortlos anstarrte. Ich schaute ihr in die großen, unschuldigen blauen Augen und bemühte mich, meinen Blick nicht über die Schönheit ihres jungen Körpers schweifen zu lassen, über die herrlich geformten Brüste in dem Kattunkleid. Ihr Gesicht war voller Trauer dort im Schatten.
    »Er ist der Teufel, Mr. Lightner«, flüsterte sie. »Wirklich.«
    »Warum tragen Sie dann den Smaragd, meine Liebe?« fragte ich impulsiv.
    Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie griff nach dem Smaragd, schloß die rechte Hand um den Stein und zog so heftig an der Kette, daß sie zerriß. »Aus einem ganz bestimmten Grund, Mr. Lightner. Es war die einfachste Art, ihn herzubringen. Ich will ihn Ihnen geben.« Sie streckte den Arm aus und ließ mir den Stein in die Hand fallen.
    Ich schaute ihn an und konnte kaum glauben, daß ich das Ding wirklich in der Hand hielt. Ohne nachzudenken, sagte ich: »Er wird mich umbringen, wissen Sie. Er wird mich umbringen und ihn mir abnehmen.«
    »Nein, das kann er nicht!« Sie starrte mich entsetzt an.
    »Natürlich kann er das«, sagte ich.
    »O Gott«, flüsterte sie und schloß für einen Moment die Augen. »Das kann er nicht«, sagte sie noch einmal, aber jetzt ohne Überzeugung. »Ich glaube nicht, daß er so etwas kann.«
    »Ich lasse es darauf ankommen«, sagte ich. »Ich nehme den Smaragd. Manche Leute besitzen eigene Waffen, um es so auszudrücken. Ich kann Ihnen helfen, Ihre Waffen zu verstehen. Tut Ihre Tante das? Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen.«
    »Daß Sie weggehen«, sagte sie verzweifelt. »Daß Sie… daß Sie… nie wieder mit mir über diese Dinge sprechen.«
    »Deirdre, kann er Sie zwingen, ihn zu sehen, wenn Sie nicht wollen, daß er kommt?«
    »Ich will, daß Sie damit aufhören, Mr. Lightner. Wenn ich nicht an ihn denke, wenn ich nicht von ihm spreche« – sie hob die Hände an die Schläfen – »wenn ich mich weigere, ihn anzusehen, vielleicht…«
    »Was wollen Sie denn? Für sich?«
    »Leben, Mr. Lightner. Ein normales Leben. Sie können sich nicht vorstellen, was diese Worte für mich bedeuten. Ein normales Leben. Ein Leben, wie sie es haben, die Mädchen da drüben im Wohnheim. Ein Leben mit Teddybären und Boyfriend und Küssen auf dem Rücksitz im Auto. Ein einfaches Leben!«
    Sie war jetzt so aufgeregt, daß es mich beunruhigte. Und all dies war ganz unverzeihlich riskant. Aber sie hatte mir dieses Ding in die Hand gegeben! Ich befühlte es, rieb mit dem Daumen darüber. Es war so kalt, so hart.
    »Mr. Lightner, können Sie ihn nicht dazu bringen, daß er weggeht? Können Sie und Ihre Freunde das nicht für mich tun? Meine Tante sagt, nein, das kann nur ein Priester, aber der Priester glaubt nicht an ihn, Mr. Lightner. Und man kann keinen Exorzismus vollziehen, wenn man keinen Glauben hat!«
    »Er zeigt sich dem Priester wohl nicht?«
    »Nein«, sagte sie verbittert und mit der Andeutung eines Lächelns. »Was würde das auch nützen? Er ist kein niederer Geist, den man mit Weihwasser und ein paar Ave Marias vertreiben kann. Er

Weitere Kostenlose Bücher