Hexenstunde
Eines Abends wurde sie von der Campuspolizei in einem kleinen Park in der Stadt aufgelesen; sie war anscheinend verwirrt und wußte nicht, wo sie war.
Schließlich wurde sie zur Verhängung disziplinarischer Maßnahmen in das Büro des Dekans gerufen; sie hatte zuviel Unterrichtsstunden versäumt, und wenn sie es überhaupt schaffte, im Klassenzimmer zu erscheinen, meldeten die Lehrer nachher, sie sei unaufmerksam und habe krank gewirkt.
Im April begann Deirdre, jeden Morgen unter Übelkeit zu leiden. Die Mädchen hörten im Korridor, wie sie sich im Gemeinschaftswaschraum übergab, und sie wandten sich an die Wohnheimmutter.
»Niemand wollte sie verpetzen. Aber wir hatten Angst. Wenn sie sich nun etwas antat?«
Als die Wohnheimmutter die Vermutung äußerte, sie sei schwanger, brach Deirdre weinend zusammen und mußte auf die Krankenstation gebracht werden. Cortland holte sie dort am 1. Mai ab.
Was danach geschah, ist bis zum heutigen Tag ein Rätsel. Die Unterlagen im neuen Mercy Hospital in New Orleans lassen vermuten, daß Deirdre sofort nach ihrer Ankunft aus Texas ins Krankenhaus eingeliefert wurde und ein Einzelzimmer bekam. Schnell sprach sich unter den alten Nonnen, von denen viele pensionierte Lehrerinnen aus der Schule von St. Alphonsus waren, herum, daß es Carlottas Hausarzt Dr. Gallagher war, der Deirdre besuchte und schließlich zustimmend feststellte: Jawohl, sie bekam ein Kind.
»Nun, dieses Mädchen wird heiraten«, teilte er den Schwestern mit. »Und ich wünsche keine niederträchtigen Reden. Der Vater ist ein College-Professor aus Denton in Texas, und er ist schon auf dem Weg nach New Orleans.«
Als Deirdre drei Wochen später, vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln und in Begleitung einer Krankenschwester, von einem Krankenwagen in die First Street gebracht wurde, erzählte man sich überall in der Redemptoristengemeinde, sie sei schwanger und müsse heiraten, und ihr künftiger Gatte, der College-Professor, sei ein »verheirateter Mann«.
Ein richtiger Skandal war es für diejenigen, die die Familie seit Generationen beobachteten. Alte Damen tuschelten auf der Kirchentreppe. Deirdre Mayfair und ein verheirateter Mann! Die Leute warfen Miss Millie und Miss Belle verstohlene Blicke zu, wenn sie vorübergingen. Einige sagten, Carlotta wolle damit nichts zu tun haben. Aber dann gingen Miss Millie und Miss Belle mit Deirdre zu Gus Mayer, und dort kauften sie ihr ein wunderschönes blaues Kleid und blaue Satinschuhe für die Hochzeit und eine neue weiße Handtasche und einen Hut.
»Sie war so voller Medikamente – ich glaube, sie wußte gar nicht, wo sie war«, erzählte eine Verkäuferin nachher. »Miss Millie hat alles ausgesucht. Sie hat bloß dagesessen, weiß wie ein Laken, und immer mit schwerer Zunge gesagt: ›Ja, Tante Millie.‹«
Einiges deutet darauf hin, daß Deirdre in der Angelegenheit wenig zu sagen hatte. Die Medizin glaubte in jenen Tagen, die Plazenta schütze das Baby vor den Medikamenten, die der Mutter injiziert wurden. Und die Schwestern sagten, Deirdre habe bei der Entlassung aus der Klinik so stark unter Drogen gestanden, daß sie gar nicht gewußt habe, was eigentlich mit ihr geschah. Carlotta sei an einem Wochentag nachmittags gekommen und habe sich die Entlassungspapiere ausfertigen lassen.
»Nun kam am selben Abend Cortland Mayfair, um sie zu besuchen«, erzählte Schwester Bridget Marie mir später unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit. »Den hätte man fast anbinden müssen, als er sah, daß das Kind weg war!«
Aus Juristenkreisen war zu hören, daß Cortland und Carlotta sich hinter verschlossenen Bürotüren durch das Telephon anschrien. Cortland erzählte seiner Sekretärin wutentbrannt, Carlotta glaube, sie könne ihm das Haus verbieten, in dem er geboren sei. Na, wenn sie das glaube, habe sie den Verstand verloren!
Am 1. Juli erschütterte eine neue Salve von Informationen die Pfarrgemeinde und ihre Klatschweiber. Deirdres zukünftiger Ehemann, der »College-Professor«, der seine Frau verlassen habe, um sie zu heiraten, sei auf der Fahrt nach New Orleans auf der Uferstraße tödlich verunglückt. An seinem Wagen sei eine Spurstange gebrochen, und er sei bei hoher Geschwindigkeit nach rechts ausgeschert und gegen einen Baum geprallt. Der Wagen sei daraufhin explodiert und in Flammen aufgegangen. Deirdre Mayfair, unverheiratet und noch keine achtzehn Jahre alt, würde ihr Baby zur Adoption freigeben. Jemand aus der Familie würde es zu sich nehmen;
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