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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Gasheizungen in den Feuerstellen, und das gefiel ihm, denn im ganzen Leben hatte er noch nie gesehen, wie ein kleiner Gasofen mit all seinen winzigen blauen und goldenen Flämmchen in der gemütlichen Dunkelheit des Winters loderte.
    Rowan stand vor der Tür des Wandschranks. »Wonach riecht es hier, Michael?«
    »O Gott, Rowan Mayfair, hast du noch nie Kampfer in einem alten Wandschrank gerochen?«
    Sie lachte leise. »Ich habe noch nie einen alten Wandschrank gesehen, Michael Curry. Ich habe noch nie in einem alten Haus gewohnt, und auch nicht in einem alten Hotel. ›State of the Art‹ – das war das Motto meines Stiefvaters. Dachterrassen-Restaurants und Messing und Glas. Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Aufwand er trieb, um diesen Standard aufrechtzuhalten. Und Ellie konnte den Anblick von etwas Altem oder Gebrauchtem nicht ertragen. Sie warf ihre ganze Garderobe weg, wenn sie sie ein Jahr getragen hatte.«
    »Dann mußt du dich hier fühlen wie auf einem anderen Stern.«
    »Nein, eigentlich nicht. Nur auf einem anderen Gleis des gleichen Bahnhofs«, sagte sie und ließ ihre Stimme nachdenklich verklingen, während sie die alten Kleider berührte, die hier hingen. Er sah nichts als Schatten.
    »Und wenn man sich vorstellt«, flüsterte sie, »daß das Jahrhundert bald zu Ende geht, während sie ihr ganzes Leben hier in diesem Zimmer verbrachte.« Sie trat zurück. »Gott, diese Tapete ist abscheulich. Sieh mal, da oben ist ein Wasserfleck.«
    »Nicht schlimm, Honey. Einen oder zwei davon muß es in einem Haus dieser Größe geben. Da ziehen wir eine neue Decke ein.« Er zuckte die Achseln. »Zwei Tage Arbeit.«
    »Du bist ein Genie.«
    Er lachte und schüttelte den Kopf.
    »Sieh nur, hier ist ein altes Badezimmer«, stellte sie fest. »Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad. Ich versuche, das alles gesäubert und renoviert vor mir zu sehen…«
    »Ich sehe es vor mir«, sagte er. »Ich sehe alles, bei jedem Schritt.«
    Carlottas Zimmer war das letzte größere Zimmer am Ende des Korridors – wie eine große, düstere Höhle wirkte es mit seinem großen Vier-Pfosten-Bett und den verblichenen Taftvolants und ein paar tristen Sesseln mit Schonbezügen. Ein abgestandener Geruch erhob sich von ihnen. In einem Regal standen Gesetzestexte und Kommentare. Und dort – der Rosenkranz und das Gebetbuch, als habe sie beides eben erst hingelegt. Ihre weißen Handschuhe, zusammengeknüllt, ein Paar Ohrringe mit Kameen und eine Jettperlenkette.
    »Die nannten wir früher Großmutterperlen«, sagte er etwas überrascht. »Ich hatte sie ganz vergessen.« Er wollte sie anfassen, zog aber dann die behandschuhte Hand zurück, als seien sie heiß.
    »Mir gefällt es hier auch nicht«, flüsterte Rowan. In einer fröstelnden, kläglichen Gebärde umschlang sie wieder ihre Oberarme; vielleicht fürchtete sie sich sogar. »Ich will nichts anrühren, was ihr gehört hat.« Sie erschien irgend wie abgestoßen von den auf der Kommode verstreuten Gegenständen und von den alten Möbeln, so schön sie auch waren.
    »Ryan wird sich darum kümmern«, sagte sie leise, und ihr Unbehagen wurde immer größer. »Er sagt, Gerald Mayfair wird herkommen und ihre Sachen holen. Sie hat Geralds Großmutter ihren persönlichen Besitz hinterlassen.« Dann fuhr sie herum, als habe sie etwas erschreckt, und beinahe erbost starrte sie in den Spiegel zwischen den beiden Fenstern, die zur Seite hinausgingen. »Da ist wieder dieser Geruch, dieser Kampfer.«
    Sie gingen weiter; durch die hintere Tür des Zimmers gelangten sie in einen kleinen Korridor, wo eine kurze Treppe in zwei weitere kleine, hintereinanderliegende Kammern führten.
    »Die Hausmädchen haben früher hier geschlafen«, erklärte Michael. »Technisch gesehen besichtigen wir hier den Dienstbotenflügel, und diese Verbindungstür dürften sie nie benutzt haben, denn bis vor wenigen Jahren war sie noch nicht hier. Sie haben die Mauer durchbrochen, um sie einzusetzen. Früher wären die Dienstboten über die Veranda ins Haupthaus gekommen.«
    Sie kehrten zurück in das größere Zimmer. Rowan betrat vorsichtig den verblichenen Teppich, und Michael folgte ihr zum Fenster und schob behutsam die zarte, empfindliche Gardine beiseite, so daß sie einen Blick auf die gepflasterten Gehwege der Chestnut Street und auf die kunstvolle Fassade des großartigen Hauses gegenüber werfen konnten.
    »Siehst du? Es ist zur Flußseite hin offen«, sagte Michael und betrachtete das andere Gebäude.

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