Hexenstunde
Korallenkranz, aber wir nannten sie immer Rose von Montana.«
Sie konnten von hier aus den weißen Farbklecks von Deirdres altem Schaukelstuhl über dem Spitzengeflecht der Ranken erkennen. »Sie müssen sie dort gestutzt haben, damit sie hinausschauen konnte«, sagte er. »Siehst du, wie sie auf der anderen Seite hochgewachsen sind und gegen die Bougainvilleen ankämpfen? Ah, aber das ist die Königin der Mauer, nicht wahr?«
Beinahe gewalttätig, das fluoreszierende Purpur der Deckblätter, die jeder für Blüten hielt.
»Und es gehört alles auch dir«, sagte sie. »Dir und mir.« Wie unschuldig sie jetzt erschien, voll eifriger Aufrichtigkeit mit ihrem sanften Lächeln.
Sie legte den Arm um ihn und drückte seine behandschuhte Hand mit ihren nackten Fingern. »Aber wenn nun drinnen alles verrottet ist, Michael? Was würde man brauchen, um alles wieder herzurichten, was kaputt ist?«
»Komm her, bleib hier hinten stehen und schau hin«, sagte er. »Siehst du, wie die Dienstbotenveranda schnurgerade dort hinaufreicht? In den Fundamenten dieses Hauses gibt es nicht die geringste Schwäche. Im Erdgeschoß sind keine Wasserflecken zu sehen, keinerlei Feuchtigkeit, die irgendwo eindringt. Nichts! Und früher waren solche Veranden der Zugang, durch den die Dienstboten kamen und gingen; darum reichen so viele Fenster dort bis zum Boden – und übrigens schließt jedes Fenster, jede Tür, die ich ausprobiert habe, absolut dicht.«
Sie schaute hinauf zu den Fenstern von Juliens altem Zimmer. Dachte sie wieder an Antha?
»Ich spüre, wie sich der Fluch von diesem Haus hebt«, flüsterte sie. »Das war es, was uns bestimmt war: daß wir beide herkommen und einander hier lieben sollten.«
Ja, das glaube ich auch, dachte er, aber aus irgendeinem Grunde sagte er es nicht. Vielleicht erschien ihm die Stille ringsumher zu lebendig; vielleicht fürchtete er, etwas Unsichtbares herauszufordern, das sie hier beobachtete und belauschte.
»Alle Wände sind aus solidem Mauerwerk, Rowan«, fuhr er fort, »und manche bis zu einem halben Meter dick; ich habe sie mit den Händen gemessen, als ich durch die verschiedenen Türen ging. Einen halben Meter dick. Man hat sie außen so verputzt, daß das Haus aussah wie aus Stein, denn so war es damals Mode. Du siehst die Rillen im Anstrich? Es sollte aussehen wie eine Villa aus großen Steinblöcken. Ein polyglottes Haus«, stellte er fest, »mit gußeisernen Verschnörkelungen und korinthischen Säulen und dorischen und ionischen Säulen, mit Türen, die wie Schlüssellöcher geformt sind…«
»Ja, Schlüssellöcher«, sagte sie. »Weißt du, wo ich eine solche Tür schon einmal gesehen habe? An der Gruft. Ganz oben an der Gruft der Mayfairs.«
»Wie meinst du das, ganz oben?«
»Da war das Relief einer Tür, genau wie die Türen in diesem Haus. Ich bin sicher, das sollte es auch sein – es sei denn, es soll wirklich ein Schlüsselloch darstellen. Ich zeig’s dir. Wir können heute oder morgen hingehen. Es liegt gleich am Hauptweg.«
Warum erfüllte ihn das mit Unbehagen? Das Bild einer Tür am Grab? Er haßte Friedhöfe, und er haßte Gräber. Aber früher oder später würde er es sich ansehen müssen, nicht wahr? Er redete weiter, erstickte dieses Gefühl, wollte diesen Augenblick genießen, den Anblick dieses Hauses, wie es genüßlich in der herrlichen Sonne badete.
»Dann sind da diese geschwungenen italienischen Fenster an der Nordseite«, fuhr er fort, »und das ist wieder ein anderer architektonischer Einfluß. Aber letzten Endes ist doch alles aus einem Guß. Es funktioniert, weil es funktioniert. Es ist für dieses Klima gebaut, mit seinen fünf Meter hohen Zimmern. Es fängt das Licht und den kühlen Wind wie eine große Falle, und es ist eine Zitadelle gegen die Hitze.«
Sie schob den Arm um ihn und ging mit ihm hinein und die lange, dunkle Treppe hinauf.
»Siehst du? Der Putz hier ist fest«, erklärte er. »Es ist beinahe sicher der Originalputz, aber die Handwerker, die ihn angebracht haben, waren Meister. Man sieht nicht einmal die winzigen Risse, mit denen zu rechnen ist, wenn das Ganze sich setzt. Wenn ich unter das Haus komme, werde ich feststellen, daß die Mauern bis an den Untergrund hinunterreichen und daß die Fundamente, die das Haus tragen, gewaltig sind. Sie müssen es sein. Alles hier ist gerade und fest.«
»Und ich dachte, es wäre hoffnungslos, als ich es das erstemal sah.«
»Stell dir vor, man reißt die alten Tapeten herunter«, sagte er.
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