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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sterben. Aber einmal nachmittags, als ich allein hier war und auf sie wartete, da habe ich gemerkt, daß es eine Falle war. Eine große Falle. Ich weiß eigentlich nicht, was ich damit meine. Ich will nur sagen: Wenn du vielleicht mal irgend etwas spürst, dann solltest du nicht achtlos darüber hinweggehen…«
    »Hast du je etwas gesehen, als du hier warst?«
    Er überlegte einen Moment lang: offensichtlich hatte er sofort verstanden, was sie meinte.
    »Vielleicht einmal«, sagte er. »Im Flur. Aber ich kann’s mir auch eingebildet haben.«
    Er schwieg. Sie ebenfalls. Dies war das Ende, und er wollte weg.
    »Es war nett, mit dir zu reden, Rowan«, sagte er mit mattem Lächeln. »Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
    Sie trat durch das Tor und beobachtete beinahe verstohlen, wie sein Auto, ein großer silberner Mercedes, langsam davonfuhr.
    Leer jetzt. Still.
    Sie roch den Duft von Kiefernöl. Sie stieg die Treppe hinauf, ging rasch von Zimmer zu Zimmer. Neue Matratzen, noch in glänzendes Plastik gehüllt, auf sämtlichen Betten. Laken und Decken, säuberlich gefaltet, daneben gestapelt. Die Fußböden gefegt.
    Der Geruch von Desinfektionsmittel von oben.
    Sie ging hinauf, trat in den Luftzug vom Fenster auf dem Treppenabsatz. Der Boden in der kleinen Gläserkammer war makellos sauber geschrubbt – bis auf einen tiefdunklen Fleck, der sich wahrscheinlich niemals wegschrubben lassen würde. Licht fiel durch das Fenster, und keine einzige Glasscherbe war zu sehen.
    Und Juliens Zimmer – gereinigt, aufgeräumt, die Kisten gestapelt, das Messingbett zerlegt und unter den ebenfalls frisch geputzten Fenstern an die Wand gelehnt. Die Bücher hübsch ordentlich und geradegerückt. Die alte, dunkle, klebrige Substanz dort, wo Stuart Townsend gestorben war, weggekratzt.
    Sie ging wieder hinunter ins Erdgeschoß und durch die Diele in die Küche. Der gute Geruch von Kiefernöl und von Wachs. Der Duft von Holz. Dieser wunderbare Duft.
    Ein altes schwarzes Telephon stand auf der Theke in der Vorratskammer. Sie wählte die Nummer des Hotels.
    »Was machst du gerade?« fragte sie.
    »Ich liege hier auf dem Bett, fühle mich einsam und bedauernswert. Ich war heute morgen mit Aaron auf dem Friedhof. Ich bin erschöpft. Mir tut immer noch alles weh, als ob ich mich geprügelt hätte. Wo steckst du denn? Du bist doch nicht drüben, oder?«
    »Doch, und es ist warm und leer, und die Sachen der alten Frau sind alle weg. Die Matratzen sind fort, und die Dachkammer ist sauber geschrubbt.«
    »Bist du allein da?«
    »Ja«, sagte sie, »und es ist wunderschön. Die Sonne kommt heraus.« Sie sah sich um, sah das Licht, das durch die Verandatüren in die Küche hereinstrahlte, sah das Licht im Eßzimmer, das dort auf den Holzboden schien. »Ich bin ganz ohne Zweifel allein hier.«
    »Dann möchte ich rüberkommen«, sagte er.
    »Nein, ich will jetzt zum Hotel zurück. Du sollst dich ausruhen. Außerdem sollst du dich untersuchen lassen.«
    »Mach keine Witze.«
    »Hast du schon mal ein EKG machen lassen?«
    »Wenn du so weiterredest, kriege ich vor lauter Angst einen Herzanfall. Ich habe das alles machen lassen, nachdem ich ertrunken war. Mein Herz ist tadellos in Ordnung. Was ich brauche, sind erotische Übungen in großen Dosen über einen endlosen Zeitraum.«
    »Das kommt darauf an, wie deine Pulsfrequenz aussieht, wenn ich komme.«
    »Hör auf, Rowan – ich werde mich nicht untersuchen lassen. Und wenn du nicht in zehn Minuten hier bist, komme ich dich holen.«
    »So lange brauche ich nicht.«
    Sie legte auf.
    Langsam ging sie durch das Eßzimmer und durch die hohe Schlüssellochtür in den Flur, und hier drehte sie sich noch einmal um und genoß die schwindelerregende Höhe der Tür und ihre eigene scheinbare Winzigkeit. Das Licht strahlte durch das sonnige Zimmer herein und glänzte auf dem blanken Fußboden.
    Ein mächtiges, herrliches Gefühl des Wohlseins überkam sie. Alles mein.
    Ein paar Augenblicke lang blieb sie still stehen, lauschte, fühlte. Sie versuchte, den Augenblick ganz in Besitz zu nehmen, versuchte, sich an die Qualen des vorigen und des vorvorigen Tages zu erinnern und im Vergleich dazu dies zu spüren, dieses wundervolle, leichtherzige Gefühl. Und wiederum war ihr die ganze grausige, tragische Geschichte ein Trost, denn mit all ihren eigenen dunklen Geheimnissen hatte auch sie einen Platz darin. Und sie würde ihn wieder einnehmen. Das war das allerwichtigste.
    Sie ging durch den Flur zur Haustür, und erst

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