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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wenige, und sie waren sehr teuer.
    Gegen drei Uhr betraten sie »das Haus« – einen spartanischen, modernen Bau mit niedrigen Räumen und strengen weißen Wänden. Die rechteckigen Fenster verwandelten den Blick auf den Golf in eine Serie von Gemälden in schlichten Rahmen, die der Horizont exakt halbierte. Unten vor der hochbeinigen Vorderveranda lagen die Dünen, die, wie man ihnen erklärte, erhalten werden mußten, weil sie das Haus vor der hohen Brandung schützten, wenn die Hurrikane kamen.
    Über eine langgestreckte Pier gingen sie über die Dünen hinaus, und eine verwitterte Holztreppe führte zum eigentlichen Strand hinunter. Wieder war der Sand in der blendenden Sonne unglaublich weiß, und das Wasser schäumte in makellosem Grün.
    Es gefiel ihm. Das sagte er ihr gleich, jawohl, es gefiel ihm wirklich, und das Haus sei prima.
    Vor allem gefiel ihm der Kontrast zu der Üppigkeit von New Orleans. Das Haus war gut gebaut mit seinem korallenroten Fliesenboden, den dicken Teppichen und der edelstahlschimmernden Küche. Ja, kubistisch und karg. Und unerklärlich schön auf seine Art.
    Während Rowan und der Agent das Kaufgebot ausfüllten, spazierte Michael hinaus auf die verwitterte Veranda. Er überschattete die Augen mit der flachen Hand und betrachtete das Meer. Er versuchte, das Gefühl heiterer Gelassenheit zu analysieren, das es in ihm hervorrief; sicher hatte es mit der Wärme und der tiefen Brillanz der Farben zu tun. Rückblickend kam es ihm so vor, als seien die Farben und Töne von San Francisco immer mit Asche vermischt, und als sei der Himmel immer nur halb sichtbar gewesen hinter Nebel, dichtem Dunst oder einem Vlies von wenig bemerkenswerten Wolken.
    Er fand keinen Zusammenhang zwischen dieser strahlenden See und dem kalten grauen Pazifik oder seinen spärlichen schrecklichen Erinnerungen an den Rettungshubschrauber und daran, wie er durchfroren und zerschlagen in seinen nassen Sachen auf der Bahre gelegen hatte. Das hier war sein Strand und sein Wasser, und hier würde ihm nichts geschehen.
    Am späten Nachmittag aßen sie in einem kleinen Fischrestaurant am Yachthafen in Destin, einem lärmenden Lokal, wo das Bier in Plastikbechern ausgeschenkt wurde. Aber der frische Fisch war ausgezeichnet. Als die Sonne unterging, lagen sie in verwitterten Liegestühlen am Hotelstrand. Michael machte sich Notizen zu Dingen, die das Haus in der First Street betrafen. Rowan schlief; ihre Haut war sichtlich gebräunt von ihren letzten Ferien und von der knappen Stunde hier am heißen Strand. Es schmerzte ihn, sie anzusehen und zu erkennen, wie jung sie eigentlich noch war.
    Er weckte sie sanft, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Riesenhaft und blutig rot strahlte sie in spektakulärer Bahn über die smaragdgrün funkelnde See.
    Schließlich schloß er die Augen, denn es war zuviel; er mußte sich abwenden und ganz langsam wieder hinschauen, während der warme Wind sein Haar zerzauste.
    Am Abend gegen neun, nach einem erträglichen Essen in einem Restaurant an der Bay, kam der Anruf vom Immobilienmakler. Rowans Angebot war akzeptiert worden. Keine Komplikationen. Die Grundbucheintragungen würden so bald wie möglich vorgenommen werden; wahrscheinlich könnte sie in zwei Wochen die Schlüssel bekommen.
    Am Sonntag nachmittag besuchten sie den Yachthafen von Destin. Die Auswahl an Booten war wundervoll, aber Rowan spielte immer noch mit dem Gedanken, die Sweet Christine herkommen zu lassen. Sie wollte ein seetüchtiges Schiff, und hier gab es eigentlich nichts, was die alte Sweet Christine an Luxus und Solidität übertroffen hätte.
    Am Spätnachmittag machten sie sich auf den Heimweg. Das Radio spielte Vivaldi, und sie sahen den Sonnenuntergang, während sie an der Mobile Bay entlangjagten. Der Himmel war grenzenlos und schimmerte in einem magischem Licht über einer endlosen Landschaft von dunkler werdenden Wolken.
    Zu Hause. Da, wo ich hingehöre. Wo der Himmel aussieht wie in meiner Erinnerung. Wo das flache Land ins Endlose reicht. Und die Luft hier ist mein Freund.
    Schnell und lautlos strömte der Verkehr auf dem Interstate Highway. Der flache, bequeme Mercedes glitt mit lässigen fünfundachtzig Meilen pro Stunde dahin. Die Musik zerriß die Luft mit hohen, reinen Violinglissandi. Endlich erstarb die Sonne in einer Flut von blendendem Gold. Dunkles, sumpfiges Waldland umschloß sie, als sie nach Mississippi hineinfuhren. Dreißig-Tonner donnerten vorüber, Kleindstadtlichter flimmerten für

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