Hexenstunde
Seidenvorhänge, das dunkle, ernste Grün der Bibliothek und das leuchtend weiße Holzwerk im ganzen Haus. Man betrachtete die alten Porträts, die gereinigt und neu gerahmt, sorgsam in der Diele und den unteren Räumen verteilt, aufgehängt worden waren.
Peter und Randall ließen sich pfeiferauchend in der Bibliothek nieder und diskutierten über einzelne Porträts und ihre annähernde Datierung sowie über die Frage, wer welches Bild wohl gemalt habe. Und was würde es wohl kosten, wenn Ryan versuchte, diesen »angeblichen« Rembrandt zu erwerben?
Beim ersten Regenschauer zog die Band hinüber ins Haus und stellte sich am hinteren Ende des Salons auf; die chinesischen Teppiche wurden aufgerollt, und die jungen Paare – einige streiften in dem Trubel die Schuhe von den Füßen – begannen zu tanzen.
Rowan sah sich immer wieder von eifrig begeisterten Gesichtern umgeben, und dabei verlor sie Michael aus den Augen. Einmal geschah es, daß sie sich für einen Moment in den kleinen Waschraum neben der Bibliothek flüchtete, im Vorübergehen winkte sie Peter zu, der jetzt allein dasaß und anscheinend halb schlummerte.
Hinter der verschlossenen Tür blieb sie still stehen und betrachtete sich mit klopfendem Herzen im Spiegel.
Verblaßt sah sie jetzt aus, zerdrückt, ein bißchen wie der Brautstrauß, den sie später übers Treppengeländer hinunterwerfen mußte. Ihr Lippenstift war verschwunden, ihre Wangen sahen bleich aus – aber ihre Augen funkelten wie der Smaragd. Zögernd berührte sie ihn, rückte ihn auf dem Spitzenbesatz zurecht. Sie schloß die Augen und dachte an Deborahs Bild. Ja, es war richtig, daß sie ihn getragen hatte. Wieder betrachtete sie ihr Spiegelbild, klammerte sich an den Augenblick, versuchte ihn für allezeit zu bewahren wie ein kostbares Photo, das zwischen den Seiten eines Tagebuchs klemmt. Heute, unter ihnen, und alle sind hier.
Sie wanderte zurück in den Salon, zu dem Lärm der Band und dem Gewimmel der Tanzenden; sie suchte Michael, und plötzlich sah sie ihn: Ganz allein lehnte er am zweiten Kamin und starrte quer durch den von Trubel erfüllten Raum. Sie kannte den Ausdruck in seinem Gesicht, die Röte und die Erregung – sie kannte die Art, wie seine Augen sich auf einen fernen, scheinbar bedeutungslosen Punkt richteten.
Er bemerkte sie kaum, als sie neben ihn trat. Er hörte sie nicht, als sie seinen Namen flüsterte. Sie folgte seinem Blick, aber sie sah nur tanzende Paare und die glitzernden Regentropfen auf den vorderen Fenstern.
»Michael, was ist?«
Er rührte sich nicht. Sie zog an seinem Arm, und dann hob sie die Hand und drehte sanft sein Gesicht zu sich herum. Sie schaute ihn an und wiederholte langsam und deutlich seinen Namen. Ungeduldig wandte er sich ab und starrte wieder in den vorderen Teil des Raumes. Nichts. Jetzt war es weg, was immer es gewesen war. Gott sei Dank.
Sie sah die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn und seiner Oberlippe. Sie lehnte sich an ihn, legte den Kopf an seine Brust.
»Was war?« fragte sie.
»Eigentlich gar nichts«, murmelte er. Sein Atem ging unregelmäßig. »Ich dachte, da wäre… aber egal. Es ist weg.«
»Aber was war es?«
»Nichts.« Er faßte sie bei den Schultern und küßte sie ein wenig rauh. »Nichts wird uns diesen Tag verderben, Rowan.« Die Stimme blieb ihm im Halse stecken, als er weitersprach. »Nichts Verrücktes oder Sonderbares an diesem Tag.«
»Bleib bei mir«, sagte sie. »Geh nicht wieder weg.«
Sie zog ihn hinter sich her, zum Salon hinaus, in die Bibliothek und in den Waschraum, wo sie ungestört allein sein konnten. Sein Herz raste immer noch, als sie ihn festhielt und ihre Arme um ihn schlang. Lärm und Musik klangen gedämpft und wie aus weiter Ferne.
»Es ist okay, Darling«, sagte er schließlich, sein Atem ging wieder leichter. »Ehrlich. Was ich sehe, hat nichts zu bedeuten. Mach dir keine Sorgen, Rowan, bitte. Es ist wie bei den Bildern – ich empfange Eindrücke von Dingen, die vor langer Zeit geschehen sind, weiter nichts. Komm, Honey, schau mich an. Küß mich. Ich liebe dich, und dieser Tag gehört uns.«
Die Party zog sich mit verrückter Munterkeit in den Abend hinein. In einem Gewitter von Blitzlichtern und trunkenem Gelächter schnitt das Brautpaar schließlich die Hochzeitstorte an. Tabletts mit Süßigkeiten machten die Runde. Kaffee wurde kannenweise gekocht. Mayfairs hatten es sich zu langen, von Herzen kommenden Gesprächen in verschiedenen Ecken und auf Sofas bequem
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