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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Und auch jetzt bestimmt die Furcht dein Handeln. Du willst Krankenhäuser bauen, wo Menschen kuriert werden, während du neue Wesen erschaffen könntest, Rowan.«
    Still und ruhig saß sie da. Noch niemand hatte zutreffender über ihre innersten Gedanken gesprochen. Sie fühlte die Hitze und die Größe ihres eigenen Ehrgeizes. Sie fühlte das amoralische Kind in sich, das von Gehirnverpflanzungen und synthetischen Lebewesen geträumt hatte, bevor die erwachsene Rowan das Licht ausgeknipst hatte.
    »Hast du kein Herz, daß du verstehen könntest, warum, Lasher?«
    »Ich sehe weit, Rowan. Ich sehe großes Leid in der Welt. Ich sehe, wie Zufall und Ungeschicklichkeit ihres Weges gehen, und ich sehe, was sie geschaffen haben. Ich bin nicht geblendet von Illusionen. Überall höre ich die Schreie des Schmerzes.«
    »Aber was wirst du aufgeben, wenn du Fleisch und Blut wirst? Welchen Preis mußt du dafür zahlen?«
    »Der Preis schreckt mich nicht. Fleischlicher Schmerz kann nicht schlimmer sein als das, was ich in den vergangenen dreihundert Jahren gelitten habe. Wolltest du denn sein, was ich bin, Rowan? Zeitlos und allein zu treiben, den fleischlichen Stimmen der Welt zu lauschen, zu dürsten nach Liebe und Verständnis?«
    Sie konnte nicht antworten.
    »Ich habe eine ganze Ewigkeit lang darauf gewartet, körperlich zu werden. Ich habe gewartet über die Reichweite aller Erinnerung hinaus. Ich habe gewartet, bis der zerbrechliche Geist des Menschen endlich das nötige Wissen erlangt hat, um die Barriere einzureißen. Und nun werde ich Fleisch werden, und es wird vollkommen sein.«
    Schweigen.
    »Ich begreife, weshalb Aaron Angst vor dir hat«, sagte sie schließlich.
    »Aaron ist klein. Die Talamasca ist klein. Sie sind gar nichts!« Die Stimme wurde dünn vor Wut. Die Luft im Zimmer war warm, und sie wallte wie das Wasser in einem Topf, bevor es kocht. Die Kronleuchter bewegten sich, aber kein Laut war zu hören, als werde alles Geräusch von den Strömungen der Luft davongetragen.
    »Die Talamasca hat das Wissen«, sagte er. »Sie haben die Macht, die Tür für uns zu öffnen, aber sie weigern sich. Sie sind unsere Feinde. Sie würden die Geschicke der Welt in den Händen der Leidenden und der Blinden belassen. Und sie lügen. Sie lügen alle. Sie haben die Geschichte der Mayfair-Hexen bewahrt, weil es die Geschichte Lashers ist, und sie kämpfen gegen Lasher. Das ist ihr eingeschworenes Ziel. Und sie täuschen dich, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Hexen richten. Lasher ist der Name, der auf den Deckeln ihrer kostbaren ledergebundenen Akten eingeprägt sein sollte. Die Akte ist verschlüsselt. Sie enthält die Geschichte von Lashers wachsender Macht. Durchschaust du diese Verschlüsselung nicht?«
    »Du darfst Aaron nichts antun.«
    »Du liebst nicht klug, Rowan.«
    »Lasher, tötest du ihn, werde ich nicht deine Tür sein.«
    »Rowan, ich tue, was du befiehlst. Wäre es nicht so, hätte ich ihn längst getötet.«
    »Das gleiche gilt für Michael.«
    »Jawohl, Rowan.«
    »Warum hast du Michael gesagt, er könne mich nicht aufhalten?«
    »Weil ich ihm Angst machen wollte. Er steht unter Aarons Bann.«
    »Lasher, wie soll ich dir helfen, hervorzukommen?«
    »Ich werde es wissen, wenn du es weißt, Rowan. Und du weißt es. Aaron weiß es.«
    »Aber wir wissen nicht, was Leben ist. All unserer Wissenschaft und unseren Definitionen zum Trotz wissen wir nicht, was Leben ist oder wie es begann. Der Augenblick, da es aus lebloser Materie plötzlich ins Dasein kam, ist ein dunkles Geheimnis für uns.«
    »Ich lebe ja schon, Rowan.«
    »Und wie kann ich dich zu Fleisch werden lassen? Du bist in den Körpern der Lebenden und der Toten gewesen. Du findest dort keinen Halt.«
    »Es kann geschehen, Rowan.« Seine Stimme war jetzt ein leises Flüstern. »Mit meiner Macht und mit deiner Macht, und mit meinem Glauben – denn ich muß mich hingeben, um die Verschmelzung zu erreichen, und nur in deiner Hand kann sie vollständig geschehen.«
    Ihre Augen wurden schmal, als sie versuchte, Formen und Muster in der luftigen Dunkelheit zu erkennen.
    »Ich liebe dich, Rowan«, sagte er. »Du bist jetzt müde. Ich will dich besänftigen, Rowan. Ich will dich berühren.« Der Klang der Stimme wurde dunkler.
    »Ich will – ich will ein glückliches Leben mit Michael und unserem Kind.«
    Eine Turbulenz in der Luft, etwas sammelte, verstärkte sich. Sie spürte, daß die Luft wärmer wurde.
    »Meine Geduld ist unendlich. Ich sehe weit.

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