Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Ziele und meine Ziele sind identisch.«
    »Das glaube ich dir nicht.«
    Jetzt fühlte sie seinen Schmerz, sie fühlte die Turbulenz der Luft, fühlte die Emotion wie das dunkle Vibrieren einer Harfensaite. Das Lied des Schmerzes.
    »Erinnerst du dich, wie du das erste Mal Menschen gesehen hast?«
    »Ja.«
    »Was dachtest du da?«
    »Daß Geist unmöglich aus Materie kommen könne. Daß es ein Witz sei. Lachhaft, würdest du sagen. Ein Fehltritt.«
    »Es hat deine Aufmerksamkeit erregt?«
    »Ja. Weil es eine Mutation war und etwas völlig Neues. Und auch, weil es uns oblag, zu beobachten.«
    »Wie?«
    »Die neu erstehenden Intelligenzen des Menschen, verhaftet in der Materie, nahmen uns nichtsdestoweniger wahr und veranlaßten uns damit, uns selbst wahrzunehmen. Auch dies ist wieder ein verzwickter Satz und daher nur teilweise zutreffend. Jahrtausendelang haben diese menschlichen, geistigen Intelligenzen sich entwickelt, sie sind stärker und stärker geworden; sie haben telepathische Fähigkeiten entwickelt und unsere Existenz gespürt; sie haben uns Namen gegeben und mit uns gesprochen und uns verführt; wenn wir Notiz nahmen, wurden wir verändert; wir dachten an uns selbst.«
    »Also habt ihr von uns gelernt, euch eurer selbst bewußt zu sein.«
    »Julien hat gesagt: ›Die Materie hat den Menschen erschaffen, und der Mensch die Götter.‹ Das ist teilweise zutreffend.«
    »Ich will noch einmal zu Aaron zurück kommen. Warum sagst du, Aaron lügt?«
    »Aaron offenbart dir nicht die ganze Absicht der Talamasca.«
    »Bist du sicher?«
    »Natürlich. Wie könnte Aaron mich belügen? Ich wußte von Aarons Kommen, bevor es Aaron gab. Arthur Langtrys Warnungen waren für Aaron bestimmt, als er von Aaron noch gar nicht wußte.«
    »Aber inwiefern lügt Aaron? Wann und inwiefern hat er gelogen?«
    »Aaron hat eine Mission. Wie alle Brüder der Talamasca. Sie halten das geheim. Sie halten einen großen Teil ihres Wissens geheim. Sie sind ein okkulter Orden, um Worte zu benutzen, die du verstehst.«
    »Und was ist das für ein geheimes Wissen? Was für eine Mission?«
    »Sie sollen den Menschen vor uns beschützen. Dafür sorgen, daß es keine Türen mehr gibt.«
    »Soll das heißen, es hat schon früher Türen gegeben?«
    »Ja. Es hat Mutationen gegeben. Aber was du mit mir erreichen kannst, wird beispiellos sein.«
    »Moment. Soll das heißen, schon andere fleischlose Wesen sind ins Reich der Materie herübergekommen?«
    »Ja.«
    »Aber wer denn? Und was sind sie?«
    »Gelächter. Sie verbergen sich sehr gut.«
    »Gelächter. Warum sagst du das?«
    »Weil ich über deine Frage lache und nicht weiß, wie ich den Klang des Gelächters hervor bringen soll. Daher sage ich es. Ich lache über dich, weil du nicht denkst, daß es schon einmal geschehen sein könnte. Du, eine Sterbliche, mit all den Geschichten über Geister und Ungeheuer der Nacht und anderes Entsetzliche. Dachtest du, es wäre nicht ein Körnchen Wahrheit in diesen alten Geschichten? Aber es ist nicht mehr wichtig. Unsere Verschmelzung wird der Vollkommenheit näher sein als irgendeine in der Vergangenheit.«
    »Und warum will Aaron verhindern, daß ich die Tür werde?«
    »Was glaubst du?«
    »Weil er glaubt, daß du böse bist.«
    »Unnatürlich – das würde er sagen, und es ist töricht, denn ich bin so natürlich wie die Elektrizität, natürlich wie die Sterne, natürlich wie das Feuer.«
    »Unnatürlich. Er fürchtet deine Macht.«
    »Ja. Aber er ist ein Narr.«
    »Warum?«
    »Rowan, wenn diese Verschmelzung einmal vollbracht werden kann, dann kann sie wieder vollbracht werden. Verstehst du denn nicht?«
    »Doch, ich verstehe dich. Es sind zwölf Grabgewölbe in der Gruft, und eine Tür.«
    »Aye, Rowan. Jetzt denkst du nach. Als du das erste Buch über Neurologie gelesen, als du das erstemal ein Labor betreten hattest, was war da dein Gefühl? Daß der Mensch erst begonnen hat, die Möglichkeiten der modernen Wissenschaft zu erfassen. Daß mittels Transplantationen und Gewebsverpflanzungen und bei In-Vitro-Experimenten mit Genen und Zellen womöglich ganz neue Wesen erschaffen werden könnten. Du sahst das ganze Spektrum der Möglichkeiten. Aber du hast dich abgewandt von deinen Visionen, Rowan, weil du fürchtetest, was du würdest tun können. Du hast dich hinter dem chirurgischen Mikroskop verkrochen, hast an die Stelle deiner Macht die großen Mikroinstrumente aus Stahl treten lassen, mit denen du Gewebe zerschnittest, statt welches zu erschaffen.

Weitere Kostenlose Bücher