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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hatte, wo sie unter dem blauen Himmel von Tiburon Wein getrunken hatten. Bedauerlich, daß sie Lark in diesen unwirklichen, metallenen Momenten gestanden hatte, daß sie nicht mehr in diesem Haus sein wollte, daß sie auf dem Boot und manchmal für das Boot lebte und nach jeder Schicht allein damit hinausfuhr, ganz gleich, wie lange sie gearbeitet hatte, ganz gleich, wie müde sie war.
    Leuten davon zu erzählen – machte das je irgend etwas besser? Lark hatte Klischee auf Klischee getürmt, als er versucht hatte, sie zu trösten. Und danach hatte jeder in der Klinik von der Sweet Christine gewußt. Und sie war nicht mehr bloß Rowan die Schweigsame, sondern auch Rowan die Adoptierte, deren Familie in weniger als einem halben Jahr gestorben war und die ganz allein mit dem großen Boot aufs Meer hinausfuhr.
    Wenn sie erst noch den Rest wüßten, dachte sie; wenn sie wüßten, wie geheimnisvoll sie wirklich war, selbst für sich selbst. Was hätten sie wohl über die Männer gesagt, die ihr gefielen: die unerschrockenen Beamten der Polizei und die kräftigen Helden der Feuerwehr, die sie in den lärmenden, gewöhnlichen Kneipen der Nachbarschaft aufspürte, diese Partner, die sie sich um ihrer rauhen Hände und der rauhen Stimme willen ebenso erwählte wie wegen ihrer breiten Schultern und kraftvollen Arme. Ja, wie war es damit, und wie war es mit all den Paarungen unten in der Kajüte der Sweet Christine, wo der .38er Polizeirevolver in seinem schwarzen Lederhalfter am Haken an der Wand hing?
    Warum solche Männer? hatte Graham einmal wissen wollen. »Du suchst sie dir aus, die dummen, ungebildeten, stiernackigen Typen? Und wenn dir mal einer seine fleischige Faust ins Gesicht rammt?«
    »Aber das ist es ja«, hatte sie kalt geantwortet, ohne ihn auch nur anzusehen. »Das tun sie nicht. Sie retten Menschenleben, und darum mag ich sie. Ich mag Helden.«
    »Das klingt wie das Gerede einer törichten Vierzehnjährigen«, hatte Graham beißend geantwortet.
    »Da irrst du dich«, hatte sie erwidert. »Mit vierzehn hielt ich Rechtsanwälte wie dich für Helden.«
    Mit einem bitteren Blitzen in den Augen hatte er sich von ihr abgewandt. Ein bitteres Aufblitzen der Erinnerung an Graham auch jetzt, über ein Jahr nach Grahams Tod. Grahams Geschmack, Grahams Geruch, Graham schließlich in ihrem Bett, denn Graham wäre schon vor Ellies Tod fortgegangen, wenn sie nicht gewesen wäre.
    »Erzähl mir nicht, daß du es nicht schon immer gewollt hast«, hatte er auf der dicken Daunenmatratze in der Koje der Sweet Christine zu ihr gesagt. »Zum Teufel mit deinen Feuerwehrmännern, und zum Teufel mit deinen Cops.«
    Hör auf, mit ihm zu diskutieren. Hör auf, an ihn zu denken. Ellie hat nie erfahren, daß du mit ihm geschlafen hast oder warum du glaubtest, es tun zu müssen. Und du bist nicht in Ellies Haus. Du bist nicht einmal auf dem Boot, das Graham dir geschenkt hat. Du bist hier sicher in der antiseptischen Stille deiner eigenen Welt, und Graham liegt tot und begraben auf dem kleinen Friedhof in Nordkalifornien. Und es ist gleichgültig, wie er starb, denn auch diese Geschichte kennt niemand. Laß ihn nicht, wie man sagt, im Geiste dabei sein, wenn du den Zündschlüssel in seinem Auto herumdrehst – das du längst hättest verkaufen sollen – oder wenn du in die klammen, kalten Zimmer seines Hauses kommst.
    Aber sie redete noch immer mit ihm, hielt noch immer das endlose Plädoyer der Verteidigung. Sein Tod hatte jede echte Lösung für alle Zeit verhindert, und so hatte ihr Haß und ihre Wut seinen Geist erschaffen. Er verblaßte jetzt, aber noch immer suchte er sie heim, selbst hier in den sicheren Korridoren ihres eigenen Reiches.
    Die anderen sind mir jederzeit lieber, hatte sie zu ihm sagen wollen – sie sind mir lieber mit ihrem Egoismus und ihrem Gepolter und ihrer Ignoranz und ihrem wüsten Sinn für Humor; ihre Rauhbeinigkeit ist mir lieber, ihre hitzige und simple Liebe zu Frauen und ihre Angst vor Frauen, sogar ihr Gerede ist mir lieber, jawohl, ihr endloses Gerede, und gottlob wollen sie im Gegensatz zu den Neurochirurgen nicht, daß ich ihnen etwas erwidere, sie wollen nicht einmal wissen, wer ich bin oder was ich bin, ich könnte genauso gut sagen, ich bin Raketentechnikerin oder Meisterspionin oder Zauberin, wie ich sage, daß ich Neurochirurgin bin. »Das soll doch wohl nicht heißen, daß du die Leute am Gehirn operierst!«
    Was bedeutete das schon, das alles?
    Tatsache war, daß Rowan die »Männerfrage«

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