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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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verdammtes Glück gehabt«, sagte Dr. Morris. Jawohl, dies war ein Anruf von Arzt zu Arzt, absolut vertraulich. Alles, was diese Schakale in der Halle wissen mußten, war, daß es eine einsame Gehirnchirurgin gewesen war, die ihn aus dem Wasser gezogen hatte. Natürlich sei er psychisch ein bißchen aus dem Gleichgewicht; er rede und rede von Visionen, die er da draußen gehabt habe, und irgend etwas passiere mit seinen Händen, irgend etwas Außergewöhnliches…
    »Mit seinen Händen?«
    »Keine Paralyse oder so was. Hören Sie, mein Pieper geht los.«
    »Ich kann’s hören. Sagen Sie – ich bin noch dreißig Tage an der Uniklinik. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Ich werde kommen.«
    Sie hängte ein. Was, zum Teufel, hatte er über die Hände sagen wollen? Sie erinnerte sich an Michael Currys Griff, wie er sie festgehalten hatte und nicht hatte loslassen wollen, und wie er ihr in die Augen geschaut hatte. »Ich hab’ nichts vermasselt«, flüsterte sie. »Mit seinen Händen ist alles in Ordnung.«
     
    Sie erfuhr, was mit den Händen los war, als sie am folgenden Nachmittag den Examiner aufschlug.
    Er habe ein »mystisches Erlebnis« gehabt, hatte er erklärt. Von irgendwo hoch oben habe er seinen Körper im Pazifik treiben sehen. Und noch sehr viel mehr sei ihm passiert, aber er könne sich im Moment nicht erinnern, und das bringe ihn fast um den Verstand, diese Unfähigkeit, sich zu erinnern.
    Was die Gerüchte über seine Hände betraf, die jetzt umherschwirrten – nun, es stimmte, er trug jetzt immer schwarze Handschuhe, denn er sah »Bilder«, wann immer er etwas berührte. Er konnte keinen Löffel in die Hand nehmen, kein Stück Seife anfassen, ohne daß er Bilder sah, die mit dem Menschen zusammenhingen, der zuletzt mit diesen Gegenständen hantiert hatte.
    Er wollte das Krankenhaus gern verlassen, ja, wirklich. Und er wäre froh, wenn die Sache mit seinen Händen ein Ende fände und wenn seine Erinnerung an das, was ihm da draußen widerfahren war, zurückkäme.
    Sie betrachtete das Photo – ein großes, klares Schwarzweißphoto von ihm, wie er im Bett saß. Der Charme des Proletariers war unverkennbar, und sein Lächeln war einfach wundervoll. Er trug sogar eine dünne Goldkette mit einem Kreuz am Hals, eine von der Sorte, die seine muskulösen Schultern betonte. Cops und Feuerwehrmänner trugen oft solche Kettchen. Sie betete sie an. Selbst wenn das kleine goldene Kreuz oder Medaillon, oder was zum Teufel es sonst sein mochte, ihr im Bett ins Gesicht hing und wie ein Kuß über ihre Augenlider streifte.
    Aber die Hände in den schwarzen Handschuhen sahen gespenstisch aus auf dem Bild, wie sie so auf der weißen Bettdecke ruhten. War es möglich, was in dem Artikel stand? Sie zweifelte nicht einen Augenblick daran. Sie hatte Dinge gesehen, die sonderbarer gewesen waren, o ja, sehr viel sonderbarer.
    Geh nicht hin zu diesem Kerl. Er braucht dich nicht, und du brauchst nicht nach diesen Händen zu fragen.
    Sie riß den Artikel heraus, faltete das Blatt zusammen und stopfte es in die Tasche. Da war es auch am nächsten Morgen noch, als sie nach einer ganzen Nacht im Neurologischen Trauma-Zentrum ins Kaffeezimmer taumelte und den Chronicle aufschlug.
    Curry war auf Seite drei – ein gutes Brustbild, vielleicht ein bißchen grimmiger als vorher, vielleicht ein bißchen weniger vertrauensselig. Dutzende von Leuten waren inzwischen Zeugen seiner seltsamen psychometrischen Kräfte geworden. Er wünschte, die Leute würden verstehen, daß es nur ein »Salontrick« sei. Er könne ihnen nicht helfen.
    Alles, was ihn jetzt noch interessierte, war das vergessene Abenteuer, das heißt, die Bereiche, die er besucht hatte, als er tot gewesen war.
    »Es gab einen Grund, weshalb ich zurück kehrte«, erklärte er. »Ich weiß, es gab einen. Ich hatte die Wahl, und ich habe mich für die Rückkehr entschieden. Und es hatte etwas mit einer Tür zu tun, und mit einer Nummer. Aber ich kann mich an die Nummer nicht mehr erinnern, und auch nicht daran, was sie bedeutete. Die Wahrheit ist, ich kann mich an überhaupt nichts erinnern. Es ist, als wäre das wichtigste Erlebnis meines ganzen Lebens wie ausgewischt. Und ich weiß nicht, wie ich es zurück holen kann.«
    Sie ließen ihn klingen wie einen Verrückten, dachte sie. Es war wahrscheinlich eines der üblichen Todeserlebnisse gewesen. Man wußte inzwischen, daß so etwas vielen Leuten zustieß.
    Was seine Hände betraf, so war sie von diesem Aspekt ein

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