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Hexenstunde

Hexenstunde

Titel: Hexenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hatte, fiel es ihr ein, zu fragen: »Woher kennen Sie eigentlich Deirdre Mayfair, Mr. Lightner?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Mrs. Lonigan«, sagte er. »Man könnte sagen, ich beobachte die Familie schon seit Jahren. Ich habe zwei Gemälde, die ihr Vater gemalt hat, Sean Lacy. Eines davon zeigt Antha. Er war derjenige, der auf dem Highway in New York tödlich verunglückte, bevor Deirdre zur Welt kam.«
    »Er ist tödlich verunglückt? Das wußte ich nicht.«
    »Ich bezweifle, daß es irgend jemand hier unten wußte«, antwortete er. »Ein beachtlicher Maler war er. Hat ein wunderschönes Porträt von Antha mit dem berühmten Smaragdhalsband gemalt. Ich habe es über einen New Yorker Händler bekommen, als die beiden schon ein paar Jahre tot waren.«
    »Komisch – daß Deirdres Vater einen Autounfall gehabt haben soll«, sagte sie. »Deirdres Freund ist nämlich das gleiche zugestoßen – dem Mann, den sie heiraten wollte. Wußten Sie das? Daß er von der Uferstraße abgekommen ist, als er nach New Orleans hinunterfahren wollte?«
    Sie glaubte eine leichte Veränderung in der Miene des Engländers wahrzunehmen, aber sicher war sie nicht. Seine Augen schienen für einen Moment kleiner zu werden.
    »Ja, das wußte ich.« Anscheinend gingen ihm jetzt Dinge durch den Kopf, von denen er ihr lieber nichts sagen wollte. Dann sprach er doch weiter. »Mrs. Lonigan, wollen Sie mir etwas versprechen?«
    »Was denn, Mr. Lightner?«
    »Falls etwas passieren sollte, etwas ganz Unerwartetes, und die Tochter aus Kalifornien nach Hause kommt, dann versuchen Sie bitte nicht, mit ihr zu sprechen. Rufen Sie mich an. Rufen Sie mich zu jeder Tages- oder Nachtzeit an, und ich verspreche Ihnen, ich werde hier sein, sobald ich ein Flugzeug von London hierher bekomme.«
    »Sie meinen, ich sollte ihr das alles nicht selbst erzählen? Ist es das, was Sie sagen wollen?«
    »Ja«, antwortete er mit großem Ernst und berührte zum erstenmal ihre Hand. »Gehen Sie nicht wieder zu diesem Haus, vor allem nicht, wenn die Tochter da ist. Ich verspreche Ihnen, daß jemand anders kommen wird, wenn ich selbst nicht kann – jemand, der bewältigen wird, was wir für notwendig erachten, jemand, der mit der ganzen Geschichte durchaus vertraut ist.«
    »Oh, da würde mir ein großer Stein vom Herzen fallen«, sagte Rita. Sie wollte bestimmt nicht mit dem Mädchen sprechen, einer völlig Fremden all diese Dinge erzählen. Aber plötzlich fing die ganze Angelegenheit an, sie zu verwirren. Sie begann sich zu fragen – wer war dieser nette Mann eigentlich? Tat sie recht daran, ihm zu vertrauen?
    »Sie können mir vertrauen, Mrs. Lonigan«, sagte er, als wisse er genau, was sie dachte. »Seien Sie sich dessen bitte versichert. Ich bin Deirdres Tochter schon begegnet, und ich weiß, daß sie eine ziemlich stille und – sagen wir – abweisende Person ist. Es ist nicht leicht, mit ihr zu reden, wenn Sie mich verstehen. Aber ich denke, ich kann ihr alles erklären.«
    Er sah sie an; vielleicht wußte er, wie verwirrt sie war, wie seltsam ihr dieser ganze Nachmittag vorkam, mit all den Geschichten von Flüchen und dergleichen, von toten Leuten und der gespenstischen alten Smaragdkette.
    »Ja, das alles ist sehr seltsam«, sagte er.
    Rita lachte. »Als ob Sie meine Gedanken lesen könnten«, sagte sie.
    »Machen Sie sich keine Sorgen mehr«, sagte er. »Ich werde Rowan Mayfair wissen lassen, daß ihre Mutter sie nicht freiwillig abgegeben hat; ich werde dafür sorgen, daß sie alles erfährt, was Sie ihr mitteilen möchten. Wenigstens das bin ich Deirdre schuldig; meinen Sie nicht auch? Ich wünschte, ich wäre dagewesen, als sie mich brauchte.«
    Nun, Rita war damit vollauf zufrieden.
    Und jetzt waren mehr als zwölf Jahre vergangen, seit Deirdre ihren Platz auf der Veranda eingenommen hatte, mehr als ein Jahr, seit der Engländer gekommen und gegangen war – und sie sprachen davon, Deirdre wieder fortzubringen. Es war Deirdres Haus, das rings um sie herum in diesem traurigen, überwucherten Garten verfiel, und sie wollten sie wieder einsperren.
    Vielleicht sollte Rita den Mann anrufen. Vielleicht sollte sie ihm Bescheid geben. Sie wußte es einfach nicht.
    »Es ist das Klügste, wenn sie sie wieder wegbringen«, meinte Jerry, »bevor Miss Carl zu hinfällig ist, um die Entscheidung zu treffen. Und es ist eine Tatsache – nun, ich sag’s wirklich ungern, Schatz, aber es ist eine Tatsache, daß es mit Deirdre zusehends bergab geht. Es heißt, sie

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