Hexensturm
bleiben. Neben uns ragte eine riesige Tanne so hoch auf, dass ich die Spitze kaum sehen konnte. Das Unterholz war dicht und mit Schnee bedeckt, und ich blickte mich nervös um. Das wäre die perfekte Stelle für einen Hinterhalt dieses Schneemännchens.
»Müssen wir hier stehen bleiben? Zu viel Deckung um uns herum könnte gefährlich sein.« Delilah musste meine Gedanken gelesen haben. Sogar Shade wirkte nervös.
»Wir sind schon in Gefahr, seit wir heute Morgen den Hügel verlassen haben.« Smoky ließ langsam den Atem ausströmen. »Wir sollten hier Verstärkung treffen. Gestern Nacht bin ich losgezogen, um jemanden um Beistand im Kampf zu bitten. Sie hat sich bereit erklärt, sich uns anzuschließen.«
Sie? Ich fragte mich, ob er einen Ausflug nach Talamh Lonrach Oll unternommen hatte, um Aeval oder Titania um einen gewaltigen Gefallen zu bitten – dass er sich niemals an Morgana wenden würde, wusste ich. Ich schaute mich suchend nach irgendeinem Hinweis auf die Feenköniginnen um.
Doch dann trat hinter der Tanne eine Frau hervor, die so groß war wie Hyto, aber wesentlich würdevoller. Sie war bleich, mit stahlgrauen Augen und silbernem, eisblau schimmerndem Haar, das ihr bis zu den Oberschenkeln fiel. Die Strähnen bewegten sich leicht, und mir stockte der Atem.
Sie schwebte förmlich auf uns zu, anmutig wie eine Tänzerin. Ihr durchscheinendes Kleid hatte die Farbe der ersten Morgendämmerung. Magie funkelte in ihrer Aura, und ich schnappte leise nach Luft. Smoky war mächtig. Hyto war stark. Aber das hier – das war der wahre Adel des Drachengeschlechts. Er sprach aus jeder ihrer Bewegungen, aus ihren Augen, ihrer Haltung. Jetzt begriff ich, weshalb die Silberdrachen als Könige und Königinnen ihrer Art galten.
Die Frau begegnete meinem Blick und hielt ihn fest. Anfangs strahlte sie Reserviertheit aus, doch ein paar Herzschläge später trat ein Funkeln in ihre Augen, und aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, einen Test bestanden zu haben.
»Iampaatar, ich habe dich bessere Manieren gelehrt. Wirst du uns wohl einander vorstellen?« Ihre Stimme klang wie ein Windspiel in einer sanften Brise.
Smoky verneigte sich tief und küsste ihr die Hand. Dann richtete er sich wieder auf und winkte mich zu sich heran. »Gestattet Ihr, dass ich Euren offiziellen Namen nenne, werte Mutter?«
»Aber natürlich. Wie sollte sie mich denn sonst anreden – he, du da? « Ihre Mundwinkel hoben sich ein klein wenig, und ich begegnete ihrem Blick mit einem schwachen Lächeln. Ich wusste, worauf er hinauswollte, aber unter gar keinen Umständen würde ich ungefragt das Wort ergreifen. Es war sehr ungeschickt, einen Drachen zu unterbrechen.
»Jawohl, Mutter.« Smoky blickte so zerknirscht drein, wie ich ihn nur ein paarmal vor Iris erlebt hatte. Er räusperte sich. »Ehrenwerte Vishana, es wäre mir eine Freude, wenn Ihr meine Frau begrüßen wolltet, Camille Sepharial te Maria D’Artigo, Priesterin der Mondmutter. Camille, dies ist meine Mutter, Ihre Hoheit Vishana. Deine Schwiegermutter.«
Ich wartete ab, was sie tun würde. Würde sie mich schlagen, wie Hyto es getan hatte? Oder mich wie Luft behandeln? Doch im nächsten Moment ergriff sie meine Hände, hielt sie fest und blickte mit diesen stahlgrauen Augen auf mich herab. Dann breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Oh, sie wirkte immer noch unnahbar, aber das Lächeln war echt, und als sie sprach, klang ihre Stimme ganz aufrichtig.
»Camille, ich habe schon darauf gewartet, dich kennenzulernen, seit Iampaatar mir von seiner Vermählung erzählt hat. Du bist also die Frau, die das Herz meines Sohnes erobert hat? Willkommen in meiner Familie.« Damit beugte sie sich vor und küsste mich flüchtig auf die Wange.
Kapitel 21
A ls sie zurücktrat, jedoch ohne meine Hände loszulassen, atmete ich vorsichtig auf. Dann fiel ihr Blick auf meinen Hals, und sie betastete das Halsband. Ich schluckte. Was zum Teufel würde sie von mir denken, weil ich Hytos Zeichen trug? Würde sie es mir übelnehmen? Mich für meine Schwäche verachten?
Doch als sie mir forschend ins Gesicht blickte, spürte ich, dass ich mich ihr öffnen konnte. Sie strahlte immer noch eine königliche Würde aus, und ich beugte mich vor und flehte sie stumm um Verständnis dafür an, dass ich Hyto nicht freiwillig in mein Leben gelassen hatte.
»Ich bedaure sehr, dass mein ehemaliger Gemahl einen Weg zu dir gefunden hat.« Sie schien in meinem Gesicht zu lesen, und als sie damit fertig
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