Hexensturm
kommt er früher zurück. Ich glaube, wir haben alles, was wir brauchen und tragen können. Hier – nimm das noch.« Sie legte mir einen schweren Umhang aus weißem Fell um die Schultern – im Grunde nur ein Pelz mit Löchern für die Arme. Aber diese Wärme würde mir das Leben retten. Hanna war ähnlich gekleidet.
»Was ist mit dem Halsband? Kann er mich darüber aufspüren?«
»Wahrscheinlich schon, aber ich kann es nicht abnehmen. Seine Magie ist zu mächtig.« Sie hob einen langen Wanderstab auf, gab ihn mir und holte sich einen zweiten. »Ich glaube, das war’s. Nichts wie raus hier.«
Mit einem letzten Blick zurück auf Hannas Gefängnis folgte ich ihr in das Labyrinth der Felsengänge. Ich würde niemals lebendig hierher zurückkehren – und wenn ich mich selbst umbringen musste, um das zu verhindern.
Wir liefen durch die gewundenen Stollen, bis wir einen Ausgang erreichten. Überrascht stellte ich fest, dass es nicht der Haupteingang war. Von dieser Höhle aus blickte man auf einen steilen Pfad hinab, der schnurstracks den Berg hinunterführte. Ich blickte mich um und entdeckte die Formation, von der ich nun sicher war, dass es sich um Hels Röcke handelte – die Gletscher in der Nähe von Wolfslieds Versteck.
»Dort müssen wir hin. Ich bin eine Freundin von …«
»Ja, das hast du mir schon gesagt. Der Schneefürst. Wenn du die Wahrheit sagst, haben wir vielleicht sogar eine Chance, aber wir müssen uns so gut wie möglich im Schatten halten. Der Herr … Hyto …« Ihre Zunge stolperte über den Namen wie über ein unerwartetes Loch, das sie zu ihrem Schrecken gerade entdeckt hatte. »Hyto wird natürlich durch die Luft zurückkehren, und wenn er uns im Schnee sieht, verbrennt er uns zu Asche.«
»Deshalb also der weiße Pelz? Tarnung?«
»So ist es leichter, sich im Schnee zu verstecken, ja. Also lass die Kapuze über dein Haar gezogen – es ist dunkel und hebt sich deutlich vom Schnee ab. Drachen haben scharfe Augen. Sie sehen hervorragend. Auch wenn der Drache wahnsinnig ist. Und es lauern noch andere Gefahren …«
»Trolle, Eisspinnen. Ich weiß.«
»So viele Geschöpfe hier oben, und so wenig zu fressen.« Hanna nickte, trat hinaus in den Schnee und versank bis über die Knöchel darin. »Über den Winter ist der Schnee schön fest geworden, aber obendrauf liegt Neuschnee. Das wird nicht einfach.«
Ich folgte ihr, obwohl meine Muskeln gegen jeden einzelnen Schritt protestierten. Aber alles war besser, als in dieser stinkenden Höhle auf Hytos Rückkehr zu warten. Die Stiefel, die sie für mich mit Fell gefüttert hatte, waren sogar richtig warm, und ich beschloss: Wenn ich es nach Hause schaffen sollte und je wieder in die Nordlande zurückkehren müsste – was ich eigentlich nicht vorhatte – würde ich mich auf jeden Fall wie die Eingeborenen kleiden.
Wir mühten uns den Pfad hinunter, so schnell es ging. Rutschend und schlitternd hinterließen wir eine Wolke aus feinem Pulverschnee. Während der Nacht hatte es wieder geschneit, doch unter der frischen Schicht war der Schnee verharscht, so dass wir nur bis zu den Knöcheln einsanken.
Im Schutz der kargen Bäume – Tannen und Kiefern, die windschief wuchsen – verlangsamten Hanna und ich das Tempo. Der Abstieg wurde immer steiler, die Luft grausam kalt. Jeder Atemzug schmerzte in den Lungen, und meine Prellungen und Schürfwunden brannten, doch jetzt, da wir erst aus der Höhle heraus waren, wusste ich, dass ich um nichts in der Welt umkehren würde.
Etwa eine Stunde später bat ich Hanna mit einer Geste, anzuhalten. Ich hatte bemerkt, dass die Bergkiefern in den Nordlanden besonders spitze Nadeln hatten, die stark dufteten, ähnlich wie Blautannen. Starker Duft war gut – er würde helfen, unseren Eigengeruch zu überdecken. Als Drache hatte Hyto einen extrem feinen Geruchssinn, und wenn wir irgendetwas unternehmen konnten, um seine Nase zu verwirren, umso besser. Ich streifte eine Handvoll Nadeln von einem Ast, zerdrückte sie und rieb sie mir über Gesicht und Hände, obwohl sie so stachen, dass ich dabei zusammenzuckte. Hanna nickte und tat es mir gleich. Harz klebte an meinen Wangen, aber das war mir egal. Ich würde alles tun, was helfen konnte, den Großen Bösen Drachen fernzuhalten.
Ein eiskalter Windstoß fegte die Bergflanke herab und wirbelte einen kleinen Schneesturm auf. Ich schnappte nach Luft, denn der Wind raubte mir buchstäblich den Atem. Ich lehnte mich an den Baumstamm und zwang mich,
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