Hexenzorn
fühlen.«
»Okay, Froschjunge«, sagte Marla. »Unterschätz’ mich nur weiter, das gibt immer lustige Ergebnisse. Du willst also, dass ich die Stadt verlasse? Wir können uns einigen, aber ich habe Bedingungen.«
»Ich bin gewillt, Euch anzuhören«, sagte Mutex.
»Marla!«, entfuhr es B. »Sie wollen doch nicht etwa mit ihm verhandeln! Wenn Sie ihn nicht aufhalten …«
»Bleiben Sie ganz ruhig, B.«, sagte Rondeau und zog ihn weg. »Sie sollten sich jetzt nicht zwischen die beiden stellen.«
»Aber …«, sagte B.
»Das meine ich ernst«, sagte Rondeau. B. schien ihm zu glauben und verstummte, was auch gut so war, denn Marla stand in seiner Schuld und hätte ihn nur ungern selbst zum Schweigen gebracht.
»Ich brauche den Grenzstein«, sagte Marla.
»Unmöglich«, entgegnete Mutex kategorisch.
»Ich muss ihn nicht für immer behalten«, sagte sie. »Ich brauche ihn nur für einen einzigen Zauber, und dann werde ich verschwinden.«
»Ich werde Euch nicht in seine Nähe lassen«, sagte Mutex. »Er ist bereits in Gebrauch. Er ist der Anker des Rituals, das meine Götter wieder einsetzen wird. Jeder andere Zauber, für den man ihn verwendet, unterbricht diesen Prozess. Nein. Das Einzige, das ich gewillt bin, Euch als Ergebnis dieser Unterredung zuzugestehen, ist Euer Leben. Verlasst diese Stadt, und ich werde Euch verschonen, auch wenn Euer Herzblut sicherlich gut zum Befeuern meines Zaubers geeignet wäre.«
Marla lachte. »Ich fürchte nicht, Mutie. Du brauchst angsterfüllte Herzen, und ich habe nicht das geringste bisschen Angst vor dir.« Was stimmte, auch wenn sie nicht annähernd mutig genug war, ihn sofort anzugreifen, nicht mit all diesen Fröschen um ihn herum. Die niedrigen Temperaturen hier unten mochten sie verlangsamt haben - schließlich waren
sie immer noch Geschöpfe des Regenwaldes, ganz egal, mit welchen weiteren Zaubern Mutex sie belegt hatte -, aber sie waren immer noch tödlich.
»Dann haben wir eine Pattsituation«, sagte Mutex.
»Sieht ganz so aus. Die Verhandlungen sind gescheitert. Irgendwie passiert das immer, wenn ich dabei bin. Ich weiß nicht, warum, denn eigentlich bin ich die vernünftigste Person, die ich kenne. Dann bringst du mich jetzt wohl besser um.«
Marla hatte erwartet, dass er verschwinden und ein andermal mit ihr kämpfen würde, aber sie hatte die mächtige Wirkung von Blasphemie unterschätzt. Er stürzte erneut auf sie zu, seine Gliedmaßen verschwommen von der Geschwindigkeit seiner Bewegungen. »Bringt euch in Sicherheit!«, brüllte Marla. Rondeau und B. rannten zum anderen Ende des Waggons, während Marla sich an die Wand hinter ihrem Rücken zurückzog. Genau in dem Moment, als Mutex das Innere des Zuges betrat - mit nur ein paar Fröschen, die träge hinter ihm her hüpften -, wendete Marla ihren Umhang.
Auf dieser höheren Bewusstseinsebene war Mutex wesentlich langsamer als noch in Daltons Büro, wahrscheinlich kaum schneller als Marla selbst. Er war umgeben von einer seltsam flackernden Aura aus rubinrotem Licht, und der wache Teil von Marlas Gehirn erkannte flatternde Umrisse, die aussahen wie Kolibris, in seiner Aura. Das war es also, so funktionierte der Zauber, der ihn schneller machte, als das Auge wahrnehmen konnte. Er umgab sich mit einer kleinen Schar Kriegerseelen in Kolibrigestalt und zapfte ihre Magie an, um sich selbst mit den gleichen Eigenschaften auszustatten: ihrem geradezu lächerlich beschleunigten
Stoffwechsel und ihrer unfassbaren Geschwindigkeit und Beweglichkeit. Andererseits dürfte ihn das auch einiges kosten. Musste ein Kolibri nicht jeden Tag ein Vielfaches seines eigenen Körpergewichtes an Nahrung zu sich nehmen, um seinen Stoffwechsel aufrechtzuerhalten? Mutex ging langsam der Saft aus, er wurde träger, und wenngleich Marla sich nicht sicher war, ob sie ihn besiegen konnte, war sie doch einigermaßen zuversichtlich, dass er sie nicht besiegen konnte.
So viel zu den rationalen Vorgängen in ihrem Gehirn. Als Nächstes gab sie sich vollkommen hin und wurde zum Tier, einer mordenden, metzelnden und schlachtenden Bestie. Sie griff Mutex mit ihren metaphysischen und dennoch rasiermesserscharfen Klauen an. Er duckte sich und ging zum Gegenangriff über. Doch obwohl er genauso schnell war wie sie, war er nicht von derselben Raserei befallen, hatte nicht ihre Instinkte, wusste nicht, wo und wie man seinem Opfer die schlimmsten Wunden zufügte. Mutex kämpfte zu rational, er war Marla in diesem Zustand einfach nicht gewachsen
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