Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
nichts mehr für sie tun.« Er seufzte, schloss einen Moment die Augen und fuhr dann mit veränderter Stimme fort: »Das erklärt alles.«
»Was erklärt was?«, fragte ich betont.
Howard sah mich erneut auf diese sonderbare Art an, schüttelte ein paarmal den Kopf und stand auf. Ich hörte ihn eine Zeit lang hinter mir hantieren; dann kam er zurück und setzte sich wieder auf die Bettkante. In den Händen hielt er einen Spiegel. »Sieh hinein«, sagte er.
Ich gehorchte.
Fast eine Minute lang saß ich da, starr vor Schrecken und zu nichts anderem fähig, als mein eigenes Spiegelbild anzustarren. Mein Gesicht wirkte eingefallen und müde. Auf meiner Wange war ein neuer, blutiger Kratzer, und darüber …
Die Klaue des GROSSEN ALTEN hatte eine tiefe, bis auf den Knochen reichende Wunde in meine Stirn gerissen, ein Schnitt, der von der Augenbraue bis zum Haaransatz reichte.
Und dort, wo er endete, war eine fünf Zentimeter breite Strähne meines Haares schlohweiß geworden. Eine Strähne, die wie ein gezackter Blitz geformt war und bis zum Scheitel emporreichte …
Schließlich, nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam, brach Howard das Schweigen. »Du hast mich niemals gefragt, wie dein Vater an seine Verletzung gekommen ist, Robert«, sagte er. »Ich hätte es dir sagen können.«
Mühsam löste ich den Blick vom Spiegel. Ich wusste die Antwort, aber plötzlich hatte ich Angst sie laut zu hören. »Er hat …«
»Das Gleiche getan wie du«, sagte Howard. »Du hast uns alle gerettet, Junge«, murmelte er. »Aber ich will dir nichts vormachen. Früher oder später würdest du es sowieso erfahren. Du hast einen der GROSSEN ALTEN getötet, genau wie dein Vater. Und du weißt, was das bedeutet.«
Ich wusste es.
Natürlich wusste ich es. Ich hatte es gewusst, im gleichen Moment, in dem ich mein Spiegelbild sah, die Strähne schlohweißen Haares, die mich endgültig zum Erben und Nachfolger meines Vaters machte, auch nach außen hin.
Er und ich, wir beide hatten einen der schrecklichen Dämonen aus der Vorzeit der Erde getötet. Und er und ich hatten das gleiche Schicksal. Seines hatte sich erfüllt, und das meine würde sich erfüllen. Irgendwann.
Ich hatte einen GROSSEN ALTEN getötet, und ich wusste, was das bedeutete. Sie würden mich jagen. Sie würden mich mit ihrer Rache verfolgen, bis ans Ende der Welt, wenn es sein musste.
Und darüber hinaus.
Wie oft nach einem schweren Sturm lag das Meer ruhig und schon fast unnatürlich glatt da. Es war still und selbst das Geräusch des Windes, der die ganze Nacht lang um die Kanten und Grate der turmhohen Steilküste geheult und die Wellen in weißer Gischt an ihrem Fuß hatte zerbersten lassen, war verstummt, als die Sonne aufgegangen war. Der einzige Laut, der die Stille durchbrach, waren die Schritte der drei Männer, die sich vorsichtig dem Rand der grauweiß marmorierten Wand näherten und in die Tiefe blickten.
Bensens Hände waren blutig und schmerzten, als er den Strand erreichte. Der Abstieg war nicht sehr gefährlich gewesen. Bensen war an der Steilküste aufgewachsen und schon als Kind an den Wänden herumgeklettert, und der Fels fiel an dieser Stelle nicht so glatt und lotrecht in die Tiefe wie andernorts, sodass selbst ein weniger geübter Kletterer die fünfzig oder sechzig Fuß leicht hätte bewältigen können. Aber die scharfen Kanten und Grate der Kreidefelsen hatten seine Haut aufgerissen, und das Salz, das der Sturm wie einen glitzernden Panzer auf dem Felsen zurückgelassen hatte, brannte höllisch in den Wunden.
Bensen klaubte sein Taschentuch hervor und wischte sich das Blut von den Fingern, während er darauf wartete, dass die beiden anderen ihm folgten. Norris kletterte geschickt und zügig über ihm den Felsen herab, während Mahoney noch immer Grimassen schneidend – und vor Angst zitternd – auf einem schmalen Felsvorsprung stand und sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, ob er sich nun vor Angst in die Hosen machen oder einfach umkehren sollte. Das letzte Stück der Wand war das Schwierigste.
»Worauf wartest du, Floyd?«, rief Bensen. »Der Fels wird sich kaum in eine Treppe verwandeln, deinetwegen. Komm schon!«
»Ich … verdammt, ich kann das nicht!«, rief Mahoney zurück. »Ich bin nicht schwindelfrei, das weißt du doch. Ich kann da nicht runtersteigen.«
»Dann spring von mir aus!«, brüllte Bensen. »Ist doch nicht hoch. Und unten ist weicher Sand!«
»Springen?« Mahoney keuchte, und Bensen konnte
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