Hexer-Edition 10: Wer den Tod ruft
Götter«, murmelte er. »Gelogen. Dieser weiße Teufel hat die Stimme der Götter missbraucht.« Plötzlich veränderte sich etwas in seinem Blick. »Ich hätte dich töten sollen, weißer Mann«, sagte er. »Ich hätte dich töten sollen. Alle Weißen sind Teufel. Ich hätte tun sollen, was die Stimme der Götter befohlen hat.«
»Du irrst dich«, sagte ich eindringlich. »Tergard hat euch hintergangen, so wie er alle belogen hat, selbst Dagon. Umso wichtiger ist es, dass euer Volk jetzt weiterlebt. Ihr müsst fliehen.«
Es war sinnlos. Der Blick des Majunde-Magiers verschleierte sich wieder, und plötzlich begann er Worte in seiner Muttersprache zu stammeln, die ich nicht verstand. Seine schlanken Hände öffneten und schlossen sich unentwegt, als wolle er etwas packen und zermalmen.
»Das hat keinen Zweck mehr, Robert«, sagte Shannon leise.
Ich nickte, richtete mich widerstrebend auf und starrte an ihm vorbei auf den Flammen speienden Gipfel des Krakatau. Sein Glühen schien plötzlich etwas Unheimliches und Drohendes zu haben.
Und trotzdem fror ich plötzlich.
Der Hauch des Todes lag über der Lichtung. Menschen waren hier gestorben, eines unnatürlichen, gewaltsamen Todes, und ihr Sterben hatte Spuren hinterlassen, unsichtbar, aber trotzdem zu fühlen für den, der die geheimen Zeichen der Natur zu deuten wusste.
Tergard war bis zur Mitte des halb erstarrten Sumpfes gegangen, der sich dort erstreckte, wo noch am Abend zuvor das Majunde-Dorf gestanden hatte. Er hatte den Kampf beobachtet, aus sicherer Entfernung heraus zwar, aber doch nahe genug, um sich ein Bild dessen machen zu können, was sich abgespielt hatte. Und trotzdem erschreckte ihn der furchtbare Anblick.
Langsam drehte er sich um, machte einen Schritt auf einen gewaltigen, halb im Schlamm vergrabenen dunklen Körper zu und blieb abrupt wieder stehen, als er erkannte, was da vor ihm lag.
Der Leib des Höllenwurmes war geborsten wie trockene Holzkohle, wie von einem Hammerschlag in drei Teile zersprengt und noch im Tode auf schier unmögliche Weise verdreht und verzerrt. Selbst jetzt, als es nichts mehr war als ein Stock verbrannter Schlacke, strahlte das Wesen etwas Unheimliches aus. Es war ein Geschöpf Satans, dessen war sich Tergard sicher, ganz gleich, mit welchen Namen die anderen Dagon und seine Kreaturen bedachten.
Eine sonderbare Mischung aus Stolz und Furcht ergriff von Tergard Besitz, als er diesen Gedanken dachte, und plötzlich breitete sich eine fast hysterische Belustigung in ihm aus. Balestrano hatte ihn bisher auf diese Insel am Ende der Welt verbannt, damit er sich bewähren konnte, als Strafe für das, was Tergard als seine Pflicht und Balestrano als Fehler bezeichnet hatte.
Und er, ausgerechnet er, Tergard, der verstoßene Master, der Mann, der in Ungnade gefallen war und dessen Name selbst der geringste Knappe mit Verachtung in der Stimme aussprach, ausgerechnet er würde es sein, der die entscheidende Schlacht schlug, der das Armageddon herbeiführte und zu Gunsten des wahren Herrn entschied!
Wäre er nicht so müde gewesen, hätte er lauthals gelacht, als ihm die hintergründige Ironie dieses Gedankens voll zu Bewusstsein kam. Wie sagte Balestrano immer – Die Wege des Herrn sind voller Rätsel.
Ja, dachte er zufrieden. Das sind sie wirklich. Und voller Überraschungen, insbesondere und vor allem für einen senilen alten Trottel, der auf seinem Thron, in Paris saß und sich für den Nabel der Welt hielt. Balestrano würde der Erste sein, den er vernichtete, wenn er erst einmal die Macht ergriffen hatte.
Tergard drehte sich um, um zum Waldrand zurückzugehen, verhielt aber dann plötzlich mitten im Schritt und blickte auf einen kleinen, halb im Schlamm versunkenen Gegenstand herab. Eine Sekunde lang zögerte er, dann ließ er sich in die Hocke sinken, hob seinen Fund auf und wischte mit einem Zipfel seines Mantels den gröbsten Schmutz ab.
Ein überraschtes Stirnrunzeln zog seine Brauen zusammen, als er erkannte, was er da gefunden hatte. Aber dann lächelte er erneut. »Die Wege des Herrn sind wirklich rätselhaft«, sagte er, während er aufstand, seinen Fund sorgfältig in eine Tasche seines Mantels schob und mit schnellen Schritten zum Waldrand und den wartenden Soldaten zurückging.
Mit dem Tag war die Stille gekommen. Nichts hatte sich an der Höhle geändert: Das rote, düstere Licht war wie immer, das Zischen der Lava erfüllte die labyrinthischen Gänge und Stollen wie ein Chor unheilvoll
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