Hexer-Edition 12: Die Hand des Dämons
einer schwarzen, zähen Masse. Sein rechter Fuß war bis über die Knöchel in dem Zeug eingesunken. Etwas davon sickerte in seinen Schuh und drang durch den Strumpf. Das Gefühl, als es seine Haut berührte, war unbeschreiblich widerwärtig: warm und schleimig. Angeekelt zog Midwailer den Fuß vollends aus der Lache, balancierte fluchend auf einem Bein und klaubte einen der Putzlappen aus der Jackentasche, von denen er immer einen Vorrat bei sich trug; für einen Heizer eine Selbstverständlichkeit.
Noch immer leise vor sich hinfluchend, wischte er das Zeug von seinem Schuh, dem Hosenbund und dem Strumpf, so gut er konnte. Ein Spritzer davon geriet auf seine Hand und abermals spürte Midwailer, wie unangenehm es sich anfühlte. Warm und irgendwie zuckend, als wäre es etwas Lebendiges. Außerdem stank es.
Midwailer schleuderte den Lappen im hohen Bogen davon und beeilte sich, endlich auf die Lok hinaufzuklettern.
Kennon erwartete ihn mit einem höhnischen Grinsen. »Bist in die Scheiße getreten, wie?«, fragte er gehässig. Midwailer starrte ihn wütend an, zog es aber vor, zu schweigen.
Weder das eine noch das andere schien Kennon zu stören. Im Gegenteil; sein Grinsen wurde noch unverschämter. Er trat auf Midwailer zu, schnüffelte übertrieben und nickte. »Tatsächlich. Man riecht es sogar.« Er kicherte. »Aber man sagt ja, in die Scheiße zu treten bringt Glück. Dann will ich mal nicht so sein und die zwei Minuten vergessen, die du zu spät gekommen bist.«
Midwailer schluckte, wandte sich mit einem wütenden Ruck um und ballte die Faust in der Tasche. Eines Tages, dachte er, eines Tages …
Aber das dachte er seit zwei Jahren – seit er Kennon kannte.
»Worauf wartest du?«, fragte Kennon. »Wir fahren in einer Stunde. Setz den Kessel unter Druck.«
Wütend riss Midwailer die Kohleklappe auf, packte seine Schaufel und begann Kohle in das nimmersatte Maul der Dampflok zu werfen. Eines Tages, dachte er. Den winzigen, schwarzen Spritzer, der auf seinem rechten Daumen zurückgeblieben war, bemerkte er in seiner Wut gar nicht. Und wenige Augenblicke später war er auch schon unter Kohlestaub und Schweiß verschwunden und unsichtbar geworden …
Aus den zehntausendvierhundert Geschichten, die mir Cody und Sitting Bull erzählen sollten, wurde vorerst nichts. Wir verbrachten die knapp zehn Minuten Fahrt bis zum Bahnhof und die anschließende Dreiviertelstunde, in der ich die vier noch auf einen Drink einlud, mit nichts anderem als Reden, aber die allermeiste Zeit war ich es, der auf Codys neugierige Fragen antwortete, und nicht umgekehrt.
Es schien nichts zu geben, was Cody nicht interessierte, denn immerhin befand er sich mit seiner gesamten Truppe auf dem Weg nach Europa – woher ich gerade kam, den kleinen Umweg über Krakatau außer Acht lassend – und für einen waschechten Cowboy musste die alte Welt mindestens ebenso fremdartig und bizarr sein wie für einen Europäer Amerika. Oder das, was man sich gemeinhin darunter vorstellte.
Auch Bodine und Annie Oakley schienen vor Neugier schier aus den Nähten zu platzen. Der Einzige, der bis auf ein gelegentliches Kopfnicken oder Stirnrunzeln nichts zu dem Verhör beitrug, dem mich die drei unterzogen, war Sitting Bull.
Schließlich zog Buffalo Bill Cody eine goldene Klappuhr aus der Tasche, blickte demonstrativ darauf und sah mich bedauernd an. »Wir müssen los«, sagte er. »Der Zug wartet nicht. Und es wäre einigermaßen peinlich, wenn unsere Truppe samt unseres Gepäcks in Salt Lake City eintreffen sollte, während wir noch hier herumstehen, nicht?«
Sitting Bull nickte bekräftigend, während Bodine nur stumm in sich hineingrinste.
Bedauernd sah auch ich auf die Uhr und gestand mir insgeheim ein, dass er Recht hatte. Ich war enttäuscht, weit mehr, als ich zuzugeben bereit war. Genauso wenig, wie ich in diesem Moment zugegeben hätte, dass ich mich ziemlich albern benahm. Buffalo Bill Cody und One-Shot Bodine waren wahrhaftig nicht das, was der sogenannte Wilde Westen war. Sie kamen nur dem Bild nahe, das man sich davon machte. Und trotzdem übten sie auf mich die gleiche Faszination aus wie auf die Tausende und Abertausende, die ihre Wildwest-Show besucht hatten.
Ich setzte zu einer Antwort an, aber ich sprach die Worte nie aus. Denn im gleichen Moment, in dem ich die Uhr wegsteckte und aufsah, begegnete ich Sitting Bulls Blick.
Es war das erste Mal, dass ich ihm direkt in die Augen sah.
Und es war wie ein Stromschlag.
Die
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